Schneeschieber-Bahn am einer Haltestelle bei Nacht.

Der Eisbär ist los – Winterdienst mit dem Wagen 2050

Januar 2013
Wir schreiben den Januar 2013. Tiefster Winter, Minusgrade. Auf einmal fängt es an zu regnen, Eisregen. Die Straßen und Bürgersteige sind plötzlich spiegelglatt. Die Fahrleitungen sind mit einer Zentimeter dicken Eisschicht überzogen. Die Züge können keinen Strom mehr „ziehen“ und bleiben liegen. Jetzt stehen im gesamten Stadtgebiet Straßenbahnen ohne Fahrstrom da. Fahrgäste müssen auf offener Strecke aus den Fahrzeugen evakuiert werden, der Straßenbahn Verkehr kommt komplett zum Erliegen – Der absolute Super GAU! Vom 20.01.2013 bis zum 23.01.2013 fuhren keine Straßenbahnen wegen des Eisregens.

Januar 2017
Es ist der 05. Januar. In den Gedanken bin ich schon bei meinem Dienst, den ich später fahren muss. Planmäßig hätte ich die Linie 11 gehabt. Plötzlich klingelt das Telefon, ich hebe ab. Am Telefon ist der Bahnhofsgruppenleiter (Tagesdisponent) des Betriebshofes Gutleut, in dem ich stationiert bin. Der Kollege teilt mir mit, dass die Winterdienstalarmstufe zwei von unserem Betriebsleiter ausgerufen wurde. Das bedeutet, dass unser „Eiswagen“ (Wagen Nr. 2050) eingesetzt werden muss. Konkret bedeutet das für mich Dienstbeginn an der Haltestelle „Ginnheim“ um 17:15 Uhr.  Für den Tagesdisponent bedeutet das umplanen, denn für den „Schneeschiebär“ gibt es nur einen speziell ausgebildeten Fahrerpool. Für mich: etwas früher Anfangen und am anderen Ende der Stadt, aber das mache ich gerne, denn es ist eine wichtige Tätigkeit, ohne die so manche Bahn bei diesem Wetter vielleicht nicht fahren könnte. Mein ursprünglicher Dienst wird dann von einem Kollegen gefahren und ich enteise die Fahrleitung. Es ist mein erster Einsatz in diesem Winter auf dem Enteisungswagen und ich freue mich auf diese Herausforderung.

16:20 Uhr – Also ab nach Ginnheim!
Ich warte am Bahnsteig zwei (Ankunftsbahnsteig der Linie 16) in Ginnheim auf den Kollegen vom Mittagsdienst, der die Straßenbahnstrecken mit dem Eiswagen abgefahren ist. Ich sehe den 2050 um die Ecke biegen, der Kollege steigt aus und wir führen ein Ablösegespräch.

17:15 Uhr – Jetzt beginnt mein Dienst!
Ich melde mich per Funk beim zuständigen Fahrdienstleiter an. Nachdem die Fahrstraße eingelaufen ist, also die Weichen vom Straßenbahngleis in Richtung U-Bahnstrecke gelegt sind, geht es von Ginnheim zuerst nach Oberursel Hohemark über Nordwestzentrum und Niederursel. Kommen wir aber erst einmal zum Fahrzeug selbst.

Der SchneeschieBÄR

Aus den Erfahrungen von 2013  entschied man sich zügig bei der VGF zu reagieren und einen der äußerst robusten P-Wagen, die bis 2016 zuverlässig die Linie U5 bedienten, speziell für den Winterdienst umzubauen. Dazu wurde ein Stromabnehmer entwickelt, der mittels einer Filzwalze eine Glycerinlösung auf den Fahrdraht aufträgt. Dies verhindert die Eisbildung, sichert die Stromzufuhr für nachfolgende Bahnen und damit den Betrieb. Zusätzlich besitzt der Wagen auf beiden Seiten ein Schneeräumschild für Spurfreifahrten.

Von der Hohemark geht es weiter zum Betriebsgelände Bommersheim. Dort steht ein Großteil der Fahrzeuge der Linien U3/8. Da dort morgens die Züge vor dem Einfahren auf die Strecke rangiert werden müssen, ist es besonders wichtig, dort die Rangiergleise und das Umfahrungsgleis zu sichern. Ansonsten käme es morgens zu Ausfällen auf diesen zwei Linien. Also alles gut und schön? Wichtig für den Fahrer von zusätzlichen Fahrten, welche nicht im Fahrgasteinsatz sind, ist den Planverkehr möglichst nicht zu stören. Das bedeutet, den Fahrplan zu kennen, um nicht direkt vor einem Planzug her zu fahren. Denn: Bei einer Enteisungsfahrt darf man mit dem Schneeschibär nur maximal 40kmH statt der üblichen Streckengeschwindigkeit fahren, um eine ordnungsgemäße Benetzung des Fahrdrahtes zu gewährleisten. Würde man jetzt direkt vor einem Planzug fahren, bedeutet das zwangsläufig Verspätung. Dies gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Gerade, da wir auch ungewohnte Linienbeziehungen fahren bei der Fahrdrahtbenetzung bedarf dies besonderer Streckenkenntnis und Aufmerksamkeit.

Hat man die Rangiergleise in Bommersheim benetzt, geht es über Oberursel Bahnhof weiter zur Römerstadt,  um kurz darauf die Fahrt über den Riedberg nach Bad Homburg-Gonzenheim anzutreten. Besonders hier versuche ich einen günstigen Zeitpunkt für die Abfahrt zu wählen. Auf dem Wendegleis in der Abstellanlage durchforstete ich die Fahrpläne der Linien 1, 2, 3 und 8. Denn diese Fahrtroute hat es in sich: Man kreuzt im Prinzip alle Linien auf der A-Strecke und könnte im schlechtesten Fall alle leicht behindern. Als ich einen günstigen Zeitpunkt gefunden hatte, setzte ich die Fahrt von der Römerstadt über den Riedberg fort bis kurz vor den Abzweig Kalbach. Hier wartete ich vor dem Anmeldesignal, um den Zug der Linie U2 vorzulassen, um diesen nicht zu behindern. Erst als dieser den Abzweig passiert hatte, näherte ich mich dem Signal, um den Zug beim Stellwerk anzumelden. Als Zusatzfahrzeug bewegt man sich auf einem schmalen Grad, einerseits möchte man die Route relativ zügig abfahren – andererseits in den engen Lücken des dichten Fahrplans möglichst keine Verspätung von Planzügen produzieren. Leider lässt sich das trotz Planung und Überblick nicht ganz vermeiden – Ich hoffe jedoch, dass es mir weitestgehend gut gelungen ist. In Gonzenheim angekommen, räumte ich umgehend wieder das Gleis und setzte zur Rückfahrt an, denn eine Standzeit hier hätte unter Umständen eine nachfolgende U2 behindert. Über den Riedberg ging es, unter den Blicken verdutzter Fahrgäste, dann zurück nach Ginnheim, um die „A-Strecke“, wie die U-Bahn Linien 1, 2, 3, 8 und 9 betrieblich genannt werden, zu verlassen.

Und weiter geht es auf der Straßenbahn… 

Der Schneeschiebär wird ab Winterdienst Alarmstufe zwei im 3-Schicht System gefahren – von 05:45 bis 23:45. Innerhalb dieses Systems ist gewährleistet, dass innerhalb eines Tages das nahezu komplette Liniennetz der VGF (außer Tunnelstrecken) mindestens einmal durchfahren wird – besonders „eisgefährdete“ Strecken auch mehrmals. Nachdem ich als Spätdienst Fahrer des Eisbärs zuerst die A-Strecke abfahre, geht es weiter auf dem Linienweg der 16 über Hauptbahnhof, Gartenstraße, Südbahnhof bis zum Lokalbahnhof. Dort verlässt man den Linienweg der 16 und fährt weiter wie die Linie 18 über Konstablerwache und anschließend ab der Rohrbachstraße wie die Linie 12 zur Eissporthalle. Es ist für mich spannend, Linienwege zu fahren, welche nicht alltäglich sind. Das ist ein besonderer Reiz, solche Dienste zu fahren.

Zwischenzeitlich muss ich neben dem Fahren stets kontrollieren, ob der Glycerintank noch ausreichend gefüllt ist, die Anlage reibungslos läuft und ob der Enteisungsstromabnehmer noch anliegt, denn bei Brücken mit besonders niedrigem Fahrdraht kann es mal vorkommen, dass sich dieser senkt. Nachdem die Eissporthalle passiert ist, befahre ich die Betriebsstrecke durch den Ostpark zum Johanna-Tesch-Platz, um dort auf die „C-Strecke“ einzubiegen. Denn der Streckenast Richtung Enkheim der U4 und U7 soll ja schließlich auch in den Genuss des Glycerins kommen. Auch dort ist beim Wenden in Enkheim wieder Schnelligkeit gefordert (rein-raus), da die Gleise dort im regulären Betrieb schon ausgelastet sind.

Nach der C-Strecke geht es dann in die letzte Etappe! Zurück zum Linienweg der 12, um dann weiter in Richtung Fechenheim bis zur Schießhüttenstraße zu fahren. Von dort aus fuhr ich die bekannte Strecke der 11 über die Hanauer und Altstadt bis zum Hauptbahnhof, um dann von dort pünktlich um 23:45 in den Betriebshof Gutleut einzufahren, den Zug abstellen, Aggregate ausstellen und Feierabend. Ein aufregender und interessanter Dienst geht zu Ende, mit der Hoffnung es hat sich gelohnt und am nächsten Morgen rollt alles.

 

Über den Autor

Adam Lubiniecki ist 30 Jahre alt und seit fast vier Jahren bei der VGF als Schienenbahnfahrer tätig. Vom Betriebshof Gutleut aus fährt er sämtliche Straßenbahnlinien durch die Stadt und wird auch öfters auf den U-Bahn Linien eingesetzt. Seit 2016 ist er ausgebildet für den Winterdienst mit dem 2050.

P.S.: Danke an meinen Kollegen für die Tollen Fotos!

Adam Lubiniecki
fest@vgf-ffm.de
2 KOMMENTARE
  • Jörn Schramm
    Gepostet am 15:14h, 22 Januar Antworten

    Sehr netter Artikel, der einen schönen Einblick in das Geschehen gibt.

    Was ich schade finde: Warum fährt der Wagen als „Probewagen“? Wie wäre es mit einem passenden Schild als „Eis-Schie-bär“?

    Gruß
    Jörn Schramm.

    • Adam Lubiniecki, VGF-Gastautor
      Gepostet am 12:01h, 24 Januar Antworten

      Vielen Dank für das Kompliment Herr Schramm.
      Das Zielband in dem Eiswagen ist dasselbe, welches seinerzeit auch im Liniendienst war. D.h. es gibt leider kein Ziel „Winterdienst“ oder ähnliches. Die offizielle Anweisung ist mit „Probewagen“ zu fahren, ich gebe Ihren Vorschlag aber gerne weiter.

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