Eine Liebeserklärung
Bei mir dreht sich ziemlich viel um die U-Bahn.
Wenn unser Sohn mich fragt: „Papa, du kennst dich doch aus in Frankfurt. Wie komme ich am besten zur Festhalle?“, dann schaue ich noch nicht einmal von der Zeitung auf, sondern antworte spontan mit „U4“. Worauf ich zu hören bekomme: „Kannst du bitte mal versuchen, außerhalb von U-Bahn-Strecken zu denken.“ Das kann ich gerne versuchen, aber leider klappt das nicht so ohne weiteres.
Eine gepfefferte Rüge habe ich mir eingehandelt, als meine Frau sich nach einem Wochenende, das ich alleine in Berlin verbracht habe, Fotos von meinem Aufenthalt ansah. „Das darf nicht wahr sein. Jeder normale Mensch bringt Fotos vom Brandenburger Tor, von der Gedächtniskirche oder vom Reichstag mit, nur du, du fotografierst U-Bahn-Stationen.“
Meine Leidenschaft für U-Bahnen ist bereits verschiedene Jahre alt.
Als Kind hatte ich keine diesbezüglichen Ambitionen – ich wollte nie Lokomotivführer werden und die Märklineisenbahn, die ich im Alter von sieben oder acht Jahren zu Weihnachten erhielt, verstaubte auch bereits bald in Pappkartons auf dem Dachboden, aber spätestens bei meinem ersten Londonaufenthalt funkte es.
Obwohl mein letzter Besuch der Stadt an der Themse mittlerweile schon Jahre zurückliegt, habe ich heute noch den Geruch der Tube, wie die U-Bahn liebevoll genannt wird, in der Nase und höre immer noch die sonore Männerstimme mit der Durchsage „Mind the gap“.
Zu dieser Ansage, die Zugpassagiere vor der Lücke zwischen dem Bahnsteig und den Türschwellen der Bahn warnen soll, und zu deren Sprechern weiß Wikipedia so einiges zu berichten.
Am rührendsten ist dabei folgende Passage: „Zu den Ansagern, deren Stimmen aus dem Verkehr gezogen wurden, gehörte auch Oswald Laurence. Er war etliche Jahre auf der Northern Line zu vernehmen, bis er 2012 auch am letzten Bahnhof verstummte. Im März 2013 wurde bekannt, dass sich die Witwe des Schauspielers mit einem Brief an London Underground gewandt und den Verlust der Stimme ihres 2001 im Alter von 80 Jahren verstorbenen Gatten beklagt hatte. Sie schrieb, jeden Tag sei sie zur Station Embankment gegangen, um seine Ansage zu hören. Immer wenn sie ihn ‚Mind the gap‘ sagen ließen, dachte sie: ‚Thank you, darling, I will‘. Die U-Bahn-Gesellschaft versicherte, die Stimme von Laurence an dem Bahnhof wieder einsetzen zu wollen.“
Ach ja, das Thema der Ansagen.
In Hamburg und in Berlin gab es vor einigen Jahren Aktionen, bei der Prominente die U-Bahn-Ansagen in den Bahnen sprachen. In Hamburg waren es unter anderem Udo Lindenberg, Smudo, Jan Fedder und Carlo von Tiedemann und in Berlin Frank Zander, Otto Waalkes, Dieter Hallervorden, Franziska van Almsick oder Anastacia, die in den Bahnen die nächsten Haltestellen ankündigten.
Seitdem verfolgt mich die Idee, dass Bodo Bach, Henni Nachtsheim, Martin ‚Maddin‘ Schneider, der selige Heinz Schenk oder andere die Ansagen übernehmen würden und auf hessisch babbele dääde, dass mer bei der nächsde Schdation am Römerberch aussteische kann.
Hallo, Chefs, wär das nichts für uns?
Den Martin Schneider in der U-Bahn anzutreffen ist übrigens gar nicht so ungewöhnlich. Mir ist er schon einmal am Merianplatz begegnet.
Doch zurück nach London und in andere Großstädte.
Seit meinen ersten Fahrten mit der Londoner Tube genieße ich es, bei Städtereisen die örtlichen U-Bahnen und die sonstigen öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Egal, ob die dazu erworbene Fahrkarte sich Travelcard, Netzfahrkarte, Tageskarte oder Wochenendkarte nennt, ich finde es reizvoll, Stadtrundfahrten unterirdisch vorzunehmen und ein- und auszusteigen, wo immer ich will.
In London sind dies zum Beispiel Wembley Central, Queen’s Park, Paddington, Baker Street, Regent’s Park, Oxford Circus, Elephant and Castle, Piccadilly Circus, Charing Cross, Shepherds Bush, Notting Hill Gate, Tottenham Court Road, St. Pauls, Mansion House, South Kensington, Blackfriars, Hammersmith, Knightsbridge oder Pudding Mill Lane. Manche dieser Namen atmen Geschichte oder sind einfach nur very british, andere erinnern an Arthur Conan Doyle oder Agatha Christie und man rechnet fest damit, dass Miss Marple, Hercule Poirot, Dr.Watson oder Sherlock Holmes um die nächste Ecke kommen.
Andere Großstädte, andere Sitten.
In Shanghai wurde ich Zeuge des wundersamen Schauspiels, wie ein eh schon proppenvoll besetzter Zug noch voller werden kann.
Versuchen Sie mal, in eine bereits volle Dose Sardinen weitere Sardinen hineinzubekommen. Dort im Osten Chinas hat es geklappt und das, obwohl mit mir sogar ein Hering dabei war. Denn mit meinen 1,86 m Körpergröße überragte ich alle einheimischen Sardinen um mindestens einen Heringskopf. Man wurde dabei so zwischen den Mitreisenden eingeklemmt, dass ein Umfallen völlig unmöglich war.
Zurück nach Deutschland und in die zum Glück vergangene Zeit der Berliner Geisterbahnhöfe.
Als Geisterbahnhöfe werden umgangssprachlich Bahnhöfe und hierbei besonders unterirdische Stationen bezeichnet, die nie in Betrieb genommen wurden oder baulich in weitgehend betriebsbereitem Zustand, aber nicht mehr in Betrieb sind.
In Berlin wurde der Ausdruck Geisterbahnhof bei den Stationen angewandt, die im August 1961 für den Fahrgastwechsel gesperrt wurden und an denen nach dem Bau der Berliner Mauer seit 1961 West-Berliner Linien ohne Halt unter Ost-Berliner Gebiet durchfuhren. Die Bahnen der West-Berliner Linien fuhren dabei mit langsamer Geschwindigkeit durch kaum beleuchtete, lediglich von einzelnen bewaffneten Grenzsoldaten oder Polizisten der DDR bewachte Stationen.
Man stelle sich einmal vor, in Frankfurt würde die U6 von Praunheim nach Enkheim durch ein fremdes oder gar feindliches Hoheitsgebiet fahren und daher die Stationen Leipziger Straße, Bockenheimer Warte, Westend und Alte Oper im Schritttempo und ohne anzuhalten durchfahren – unvorstellbar.
Heute sind viele dieser Berliner Stationen wieder wie aus einem Dornröschenschlaf erwacht und überhaupt hat man bei manchen der Berliner U-Bahnhöfe heute noch den Eindruck, als sei die Zeit ein wenig stehengeblieben.
Apropos Zeit stehengeblieben.
Von der U-Bahn in Moskau sagt man, durch die prunkvoll gestalteten Stationen des sozialistischen Klassizismus wehe ein Hauch der Zarenzeit. Daher steht die Metro Moskau wegen ihrer besonderen Architektur und ihren „unterirdischen Palästen“ neben Paris und New York auf meiner Wunschliste noch zu besuchender U-Bahnen (man beachte, ich besuche nicht die Metropole, sondern die Metro).
Mein Sohn, der sich gerne über meine Leidenschaft lustig macht, weiß dennoch, wie er seinem alten Herrn eine Freude machen kann. Aus seinem ersten eigenen Londonaufenthalt im vergangenen Jahr brachte er mir nämlich nicht etwa den obligatorischen Teddy mit Bärenfellmütze oder die Towerbridge in einer Schneekugel mit, sondern die aktuelle London Underground Tube Map, das Streckennetz der Londoner U-Bahn.
Über den Autor:
Udo Herkenroth ist 55 Jahre alt, seit 33 Jahren verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Er pendelt täglich aus dem Westerwald nach Frankfurt am Main und arbeitet bei der VGF als Architekt und Projektleiter im Fachbereich Haltestellen und Gebäude und dort im Fachteam Brandschutz und Projekte.
In seiner Freizeit widmet er sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Birgit der Hundezucht. Die beiden teilen ihr Zuhause derzeit mit vier Bobtails aus vier Generationen.
Udo Herkenroth ist 2. Vorsitzender des Deutschen Old English Sheepdog Clubs, in dessen bundesweit erscheinender Clubzeitschrift regelmäßig Veröffentlichungen von ihm zu lesen sind. Außerdem ist er in verschiedenen Internetblogs mit Beiträgen zu den unterschiedlichsten Themen zu finden.
Dr. Johannes Theißen
Gepostet am 10:41h, 18 FebruarIch teile diese Leidenschaft und fahre in vielen Städten leidenschaftlich U- Bahn. Die gesperrten Stationen in Ostberlin haben mir immer Nervenkitzel bereitet, wenn ich die schwerbewaffneten Vopos oder Grenzer in den dämmrigen Stationen gesehen habe. Alos Dank an Herrn Herkenroth für seinen Beitrag.
Dr. Johannes Theißen
Udo Herkenroth
Gepostet am 12:32h, 18 FebruarSehr geehrter Herr Dr. Theißen,
vielen Dank für Ihren Kommentar – immer schön, solch ein nettes (Achtung, neudeutsch) Feedback zu erhalten.
Udo Herkenroth
Michael Hellmich
Gepostet am 00:36h, 01 MärzKannte den Herrn Herkenroth nicht – bin aber entsetzt über seine Planung der neuen Westend-Station in Frankfurt. Eine Station mit nur einem (!) Aufzug. Bin in den letzten Jahren viel mit Kinderwagen unterwegs – kann gar nicht sagen, wie oft ich umdisponieren musste, weil der einzige Aufzug nicht funktionierte. Meine Frau fährt keine U-Bahn mehr, so lange es sich vermeiden lässt – die anderen Muttis auch nicht. Jetzt kann man sich temporär mit dieser Bürger- bzw. Nutzerfernen Planung noch arrangieren – ist ja nur für max. 3 Jahre pro Kind. Aber – so frage ich mich immer wieder – wer denkt an die Rollstuhlfahrer? Wer ist dafür verantwortlich, dass ihnen eine normale Teilhabe (und Mobilität gehört m.E. dazu) so erschwert wird? Mit Herrn Herkenroth würde ich gerne mal ein paar Tage Design Thinking durchexerzieren – Tag 2: mit dem Rollstuhl in die U-Bahn und dann durch die Stadt. 🙂 Nicht für Ungut – architektonisch mag das alles OK sein … aber wenn die Funktion leidet, wozu das Ganze? … den Beitrag fand ich übrigens interessant.
Bernd Conrads
Gepostet am 09:39h, 02 MärzGuten Tag, Herr Hellmich!
Das Thema „Barrierefreiheit“ beschäftigt die VGF seit Jahrzehnten, denn leider wurden Stationen wie „Westend“ noch in den 80er Jahren ohne Aufzüge gebaut. Ihre Frage, wer an die Rollstuhlfahrer denkt, kann ich daher beantworten: die VGF. Denn seit Jahren investieren wir Millionen € in die sinnvolle Nachrüstung von Stationen, um Rollstuhlfahrern Mobilität und damit die bessere Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen.
Die Station „Westend“, die anders als Sie schreiben, nicht neu ist, steht jetzt zu dieser Nachrüstung an. Notabene im Bestand, was Leitungen in der Erde, aber auch – ganz wichtig – die Oberfläche betrifft. Wir können nicht einfach an einer Stelle, die sinnvoll erscheint, ein Loch graben und einen Aufzug einbauen. Bei der Variante im Planfeststellungverfahren handelt es sich um einen Aufzug vom Bahnsteig auf die Oberfläche. Ich stimme zu: Defekte und nicht fahrende Aufzüge sind für viele Fahrgäste schlimm. Aber die Lösung ist nicht, in Stationen zwei identische Aufzüge einzubauen, für den Fall, daß der eine außer Betrieb ist. Das hat mit Design Thinking nichts zu tun, sondern – leider – schlicht mit Wirtschaftlichkeit.
Wir versuchen natürlich, einen nachgerüsteten Aufzug so gut es geht in die Stadtlandschaft einzugliedern. An der Bockenheimer Landstraße, unter der die Station liegt, ist das sehr schwierig. Vermutlich wird es keine Ideallösung geben, also müssen wir mit allen Beteiligten die finden, die am wenigsten Nachteile hat.