Verzogenes Bild einer Bahn von Innen mit Blick auf das Fahrerhäusschen.

Auch Drogenkonsumenten fahren mit

Der Frankfurter Weg ist nicht irgendeine Straße in Frankfurt. Er bezeichnet einen Ansatz in der Frankfurter Drogenpolitik, der Ende 80er Jahre in Frankfurt aufkam, um der permanenten Zuspitzung des Drogenproblems entgegenzuwirken – insbesondere unter dem Druck der zunehmenden HIV-Infektionen und Drogentodesfälle.

Die Stadt Frankfurt versucht, mit dem Frankfurter Weg einerseits die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, andererseits mögliche Schäden für Drogenkonsumenten zu reduzieren. Repressive Maßnahmen, die sich ausschließlich gegen den Handel mit illegalen Drogen, nicht gegen die Konsumenten selbst richten, sind eng verknüpft und abgestimmt mit gesundheits- und sozialpolitischen Maßnahmen als Hilfe für die Drogenkonsumierenden.

Wer aus Frankfurt stammt, kennt vielleicht noch die Zeit, als die Taunusanlage voll mit Süchtigen war. Um dem entgegenzuwirken, wurden gegen Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zahlreiche sogenannte „Druckräume“ – überwiegend im Bahnhofsviertel – eröffnet, in denen Süchtige saubere Nadeln und Spritzen erhalten.

Was das alles mit dem städtischen Nahverkehr zu tun hat, möchte ich anhand meiner Erfahrungen als Fahrer schildern:

 

Ich bin Schienenbahnfahrer bei der VGF. Wie vermutlich die meisten Leser hatte ich zuvor nie mit Drogensüchtigen Kontakt. Junkies, User, Druffis, Fixer, Suchtis, Crackheads – das waren doch die Gestalten vom Hauptbahnhof. Mit denen wollte man nichts zu tun haben.

Nun, durch Druckräume, zum Beispiel dem in der Elbestraße, trat ich unweigerlich immer mehr mit Junkies in Kontakt. Irgendwie mussten sie ja dort hinkommen – daher blieb es nicht aus, dass sie zu mir in die Bahn einstiegen. Die meisten fallen nicht auf, steigen ein, fahren mit und steigen irgendwann wieder aus. Erst nach und nachbemerkte ich wiederkehrende Gesichter.

Ich bekam dabei viele kuriose Situationen mit: Einige fingen an, laut miteinander zu singen, wieder andere stritten sich lautstark, wer wieviel zum letzten Druck beigetragen hat.

Dann kommt es ab und an vor, dass genau der eine, der eine ganz Spezielle einsteigt. Oft sind es Personen, die im Trip verirrt sind kurz nachdem sie konsumiert haben. In den Druckräumen dürfen sie nicht lange verweilen, weswegen sie, besonders jetzt, wenn es draußen wieder kälter wird, gerne Zeit in Bus und Bahn verbringen. Ein Ort, an dem sie nicht sofort vertrieben werden und sie ihren Rausch für einen Moment in Ruhe erleben können.

Die meisten von ihnen sitzen nur da, schlafen, starren ins Nichts oder sonstwohin. Viele haben sich sogar schon bei mir bedankt, dass ich sie nicht sofort verjagt habe. Doch der eine Spezielle zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich.

Er ist drauf, alle Fahrgäste um ihn herum bekommen Mitleid, wollen helfen, wissen aber mangels Erfahrung nicht, wie. Mir ging es zunächst nicht anders, lieber einmal mehr Hilfe geholt, als dass es zu spät ist. Keinesfalls darf man wegschauen, das wäre das Schlimmste, was man machen kann.

Also lernte ich zwangsläufig den Umgang mit Personen, die unter Drogen standen, und vielleicht kann ich mit diesem Blog-Beitrag auch einigen Lesern dabei helfen, richtig zu handeln und zu helfen.

Ich weiß es, der Junkie sitzt auf seinem Platz wie ein Schluck Wasser in der Kurve, womöglich auf dem Boden, redet wirres Zeug. Auf Ansprache reagiert er nicht. Meistens wird das als „Bewusstlosigkeit“ interpretiert. Im Rausch hilft nur ein sehr lautes und straffes Ansprechen, anders kann man sie nicht aus ihrem Trip reißen. Durch das Mitleid, den Willen zu helfen, aber gleichzeitiger Überforderung mit der Situation, wie das am besten geht, weicht oft Rationalität der Emotionalität.

Ich bin immer froh, wenn ich von anderen Fahrgästen auf die Person aufmerksam gemacht werde, aber allzu oft treffe ich mit meiner Reaktion auf Unverständnis. Die Fahrgäste erhalten nicht die erhoffte Antwort. Warum ist nicht schon längst ein Rettungswagen vorhanden? Warum stehen wir nicht schon und behandeln die Person? Die meisten wissen es einfach nicht besser. Von wem sollten sie es auch lernen. Für mich ist es zwangsläufig zu einer normalen Situation geworden, mittlerweile weiß ich: Solange die Junkies reden oder sonstige Geräusche von sich geben, ist es am besten, sie in Ruhe zu lassen. Auch wenn sie nicht ansprechbar wirken, brauchen sie nicht zwingend medizinische Hilfe. Natürlich darf man sie nicht links liegen lassen, es kann immer passieren, dass sie im Drogenrausch zusammenklappen. Deshalb muss man mit Ruhe die Situation im Auge behalten, aber sollte keineswegs panisch oder gar ängstlich reagieren.

Es ist zwar nicht schön anzusehen, aber leider kann die Stimmung von Personen unter Drogeneinfluss schnell kippen. Rettungswagen, Polizei, Ordnungsdienst – das sind Worte, auf die viele von ihnen aggressiv reagieren, besonders im Trip. Sie können nicht realisieren, dass man ihnen nur helfen möchte und gehen dann gegen Jeden vor. Um nicht zu provozieren, gewähre ich den berauschten Personen in meinem Zug meistens ihre Ruhe.

 

Schauen Sie nicht weg, Sie helfen bereits genug, indem Sie das Fahrpersonal informieren – auch wenn Sie vielleicht nicht die Antwort erhalten, die Sie erwartet haben. Oft kennen wir Fahrer unsere „Spezialisten“ und können abwägen, ob medizinische Hilfe erforderlich ist. Auch wenn das aus emotionaler Sicht eventuell manchmal „kalt“ wirkt.

 

Bis dahin und gute Fahrt.

 

 

Über den Autor:

Der Autor möchte anonym bleiben. Er ist 28 Jahre alt und arbeitet seit 3 Jahren bei der VGF im Fahrdienst. Bereits sein Großonkel arbeitete als Schienenbahnfahrer bei den Frankfurter Stadtwerken. 2013 trat er dann in die Fußstapfen seines Großonkels.

VGF-Gastautor
stiociaj@wegwerfemail.de
1 Kommentar
  • Jörn Schramm
    Gepostet am 15:59h, 26 Oktober Antworten

    Die Drogenszene in Frankfurt kenne ich noch aus eigener Anschauung – inzwischen ist sie weit weg von mir, und ich komme nur noch selten in die Stadt am Main. Ich bin sehr beeindruckt, mit wie viel Empathie hier jemand über diese Menschen schreibt, die irgendwie aus dem Leben gefallen sind. Es ist wohl nicht nur mir schwer nachvollziehbar, wie man so leben kann – aber dieser Text fordert uns zumindest zur Toleranz auf. Danke dafür.

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