Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr: Nicht ohne Aufzüge
Ein Sonntag Mitte Januar. Walter H.[1], beginnt an der barrierefreien Station „Fritz-Tarnow-Straße“ seine Fahrt in die Innenstadt, wo er eine Verabredung hat. H. ist auf einen Rollstuhl angewiesen, wenn er mit der U-Bahn unterwegs ist und unterirdische Stationen nutzt, also auch auf funktionierende Aufzüge. Doch genau das erweist sich an jenem Sonntag als Problem. Sowohl in der Station „Hauptwache“, als auch am „Willy-Brandt-Platz“ stehen die Aufzüge. H. kommt so nicht vom Bahnsteig weg, für ihn ein Schlag ins Kontor. Und, davon kann man ausgehen, nicht der erste seiner Art.
Wie das Titelbild: Aufzug in der Station „Festhalle / Messe“. Beide gingen mit dem Abschnitt der U4 Februar 2001 in Betrieb.
Hohe Verfügbarkeit
Man könnte anmerken, daß Schäden oder Defekte bei technischen Anlagen system-immanent sind. Auch ein Auto oder ein Mixer haben keine ewigwährende Funktionsgarantie, die sich – komme was da wolle – einklagen ließe. Aber für Fahrgäste, die auf Aufzüge angewiesen sind, ist deren Stillstand schlimm.
Berichte von stehenden Aufzügen finden daher immer wieder Eingang in Beschwerden oder Zeitungsartikel. Deswegen scheinen die Anlagen gefühlt häufiger defekt zu sein als sie funktionieren. Doch das ist nicht der Fall: Die Verfügbarkeit (oder besser: Einsatzbereitschaft) der VGF-Anlagen ist keineswegs schlecht. Im Gegenteil: zwischen 2017 und 2019 lag sie bei 97,6 %, 2020 bei 98 %, 2021 bei 97,7 %.
Station „Schweizer Platz“ (in Betrieb seit April 2016): einer von zwei Schrägaufzügen, der zweite ist an der Station „Seckbacher Landstraße“.
48 Personenaufzüge
Die VGF betreibt und betreut für ihre Fahrgäste im U-Bahnnetz 48 Personenaufzüge, sie sind das Rückgrat der Barrierefreiheit in 27 unterirdischen Stationen. Fünf Lastenaufzüge und elf Personen-, Lasten-, Güter- und Kleingüteraufzüge in Liegenschaften und Betriebsgebäuden kommen hinzu.
Im Durchschnitt sind die Anlagen – und das ist ein potentielles Problem – zwischen fünf und 34 Jahre alt. 25 der 48 Personenaufzüge sind länger als 25 Jahre in Betrieb. Wenn wir bei Auto oder Mixer bleiben: die Anfälligkeit für Defekte – in deren Folge Ausfallzeiten und mithin die Notwendigkeit zu Reparaturen – steigt mit zunehmendem Alter, besonders bei Anlagen die sieben Tage die Woche und letztlich 24 Stunden am Tag betriebsbereit sein müssen und genutzt werden.
Station „Südbahnhof“: Aufzug in der B-Ebene.
Arbeiten für Betriebsbereitschaft
Um die Betriebsbereitschaft der Aufzüge zu gewährleisten – hier geht es nicht nur um die technische Verfügbarkeit, sondern auch um die Sauberkeit der Kabinen – folgt die VGF einem internen Betriebskonzept. Dieses sieht eine technische Wartung alle zwei Monate vor. Mindestens alle zwei Wochen reinigt die VGF die Aufzüge, das heißt alle Flächen (Wände, Glasscheiben, Armaturen etc.) werden nass gewischt, ebenso die Böden. Hier werden die lästigen Kaugummis entfernt, die Nutzer in den Fahrstühlen entsorgt haben, da sie leider keine andere Möglichkeit hatten, das Zeug loszuwerden.
Zusätzlich nimmt die VGF sofort Sonderreinigungen vor, wenn die Verschmutzung akut und zu stark ist. Hier bewegen wir uns im unappetitlichen Bereich von Fäkalien, Blut oder auch Brandschäden. Leider, das muß man feststellen, gibt es nichts, was es nicht gibt. Oder anders gesagt: Es gibt keine Verdreckung, Vermüllung oder auch Beschädigung, zu der Menschen nicht im Stand und bereit sind. Vereinzelt haben menschliche Hinterlassenschaften in den Aufzügen am Hauptbahnhof schon dazu geführt, daß sich das Reinigungspersonal geweigert hat, seiner Aufgabe nachzukommen. Was Fahrgäste wie Walter H, die auf Funktion und guten Zustand von Aufzügen angewiesen sind, dazu sagen, kann man sich denken.
Der Ordnungsdienst kontrolliert den Zustand wöchentlich – und selbstverständlich bei jeder dienstlichen Nutzung. Schäden oder Verunreinigungen werden gemeldet, um sie schnell abzustellen bzw. zu beheben.
Station „Eschenheimer Tor“: Aufzugsgehäuse auf der Oberfläche, die Station ist seit Oktober 1968, die Aufzüge seit März 2018 in Betrieb.
„Risikokomponenten“
Nun sind Aufzüge, an deren möglichst ununterbrochene Verfügbarkeit hohe Ansprüche gestellt werden, robuste Anlagen. Aber es gibt Risikokomponenten, die die VGF als solche identifiziert hat. Dazu gehören Fahrkorb und Schachttüren – und zwar nicht, weil sie per se anfällig wären, sondern weil bei 30 Aufzügen Türen einer Firma eingebaut sind, die nicht mehr auf dem Markt ist. Hier schlägt das Alter der Anlagen zu: Ersatzteil-Beschaffung ist schwierig, Komponenten kann die VGF nur noch aus Restbeständen beziehen. Die Lösung der VGF: Das Unternehmen hat ein jährliches Budget von 120.000 € eingestellt, um Türen an alten Aufzügen auszutauschen. Für solche Auftragsvergaben sind Ausschreibungen nötig, die nicht immer erfolgreich sind. Obwohl Geld und Wille bei der VGF vorhanden sind, kann es also sein, daß über einen gewissen Zeitraum ein solcher Austausch nicht möglich ist.
Auch die Anfälligkeit der Aufzugssteuerung steigt mit dem Alter der Anlage. Bei sieben Aufzügen liegt eine Überalterung vor und Ersatzteile sind nicht mehr zu beschaffen. Auch hier erfolgt Anlage für Anlage ein Ersatz der Steuerungen.
Station „Eschenheimer Tor“: Aufzug auf der B-Ebene, nachgerüstet 2018.
In zwölf Aufzügen arbeiten veraltete Hydraulikaggregate, was ihre Störanfälligkeit ebenfalls erhöht. Im Bedarfsfall tauscht die VGF die Hydraulik aus, was mit ca. 20.000 € pro Anlage zu Buche schlägt.
Die Fahrkörbe können am Kabinensockel schlicht durchrosten. Auch hier folgt ein bedarfsorientierter Ausstauch der beschädigten Komponente.
„Vandalismus“
Neben dem Zahn der Zeit, der an verschiedenen Teilen der Anlagen nagt, gibt es weitere Gründe für Ausfälle bzw. Standzeiten: Schäden, die mutwillig und mit voller Zerstörungsabsicht von Zeitgenossen verursacht werden, früher oft beschönigend „Vandalismus“ genannt. An Aufzügen ist eine ganze Menge „kaputtbar“, besonders, wenn man’s drauf anlegt. Die notwendigen Ersatzteile zu beschaffen, kostet mitunter Zeit, egal ob sie Materialermüdung oder vorsätzlicher Sachbeschädigung zum Opfer fallen. Die Hitliste beliebter Zerstörungen führen die Scheiben der Aufzüge an, die sich relativ leicht kaputt machen lassen. Auch Türen zu verbiegen oder Taster einzuschlagen, kann einen Aufzug lahmlegen. Und warum nicht mal den einen oder anderen Handlauf abreißen? Im Jahr 2021 hat die VGF rund 20.000 € für die Beseitigung solcher Schäden an ihren Aufzügen aufgewendet.
Übrigens sind auch Fahrtreppen, von denen an dieser Stelle sonst nicht die Rede sein soll, von „Vandalismus“ betroffen. Eingetretene Balustraden und abgeworfene Handläufe stehen ganz oben auf der Häufigkeitsliste, Graffiti mit speziellen Stiften, die Edelstahl angreifen, sind auch in Mode. Rund 8.000 € schlugen im Jahr 2021 zu Buche.
Station „Bockenheimer Warte“, Bahnsteig U4: Eröffnung der Strecke Februar 2001 mit Aufzug.
Beseitigung von Aufzugsstörungen
Egal ob Vandalismus oder altersbedingter Verschleiß: Aufzugsstörungen, wenn sich ihre Ursache schnell beheben läßt, beseitigt die VGF montags bis freitags zwischen 7 und 15 Uhr 30. Nach Dienstschluss oder am Wochenende erledigt das an den stark frequentierten Stationen „Hauptbahnhof“, „Südbahnhof“, „Konstablerwache“, „Bockenheimer Warte“, „Hauptwache“ und „Willy-Brandt-Platz“ eine Rufbereitschaft. Da die Personal-Ressourcen begrenzt sind, kann das an weniger stark genutzten Stationen bis zum nächsten Arbeitstag dauern. Für eine notfallmäßige Befreiung, sollte sie nötig sein, sorgen die Mitarbeiter des VGF-Ordnungsdiensts, der rund um die Uhr arbeitet.
Aufzugsnachrüstungs-Programm
Die Zahl der Aufzüge ist seit 2008 kontinuierlich gestiegen. Im Zuge ihres Aufzugsnachrüstungs-Programms hat die VGF in eine Reihe älterer Stationen nachträglich Anlagen eingebaut, weil bei ihrem Bau in den 60er, 70er und zum Teil auch 80er Jahren keine Notwendigkeit gesehen wurde, den Bedürfnissen „mobilitätseingeschränkter“ Fahrgäste gerecht zu werden. Heute nicht vorstellbar.
Im Rahmen des Programms hat die VGF im Mai 2008 zwei Aufzüge in der Station „Holzhausenstraße“ in Betrieb genommen, im Dezember 2009 zwei Aufzüge in der Station „Grüneburgweg“ und einen in der Station „Kirchplatz“, einen Aufzug im Oktober 2010 in der Station „Alte Oper“, vier Aufzüge in der Station „Miquel- / Adickesallee“ im September 2015, zwei Aufzüge in der Station „Schweizer Platz“ (Dezember 2015 und April 2016) sowie im März 2018 zwei Aufzüge in der Station „Eschenheimer Tor“. In der Station „Westend“ hat die Nachrüstung im Frühjahr 2021 begonnen, der Aufzug wurde im September 2022 wie vorgesehen in Betrieb genommen. Damit sind – Stand November 2022 – 82 von 84 Stationen im U-Bahn-Netz barrierefrei. In Vorbereitung sind die Stationen „Römerstadt“ und „Niddapark“, die zwar oberirdisch liegen, durch ihre spezielle Topographie aber ebenfalls Aufzüge benötigen, um sie barrierefrei zu machen.
Im Bau: Aufzug der Station „Westend“. Inbetriebnahme ist für Herbst 2022 geplant.
Das Programm biegt also auf die Ziellinie. Aber während im Herbst 2022 der Aufzug in der Station „Westend“ in Betrieb gegangen ist, sind die ersten nachgerüsteten Aufzüge auch schon in ihrem 14. Betriebsjahr.
Alternative „Treppensteiger“?
Für Fahrgäste, deren Mobilität eingeschränkt ist, hat die VGF schon vor Jahren vier Treppensteiger angeschafft, die der Ordnungsdienst bedienen kann. So sollte Fahrgästen, die auf Aufzüge angewiesen sind, die Möglichkeit verschafft werden, ihre Reise nicht wie Walter H. abzubrechen, sondern fortzusetzen zu können, auch wenn Anlagen ausgefallen sind. Ein Anruf beim Ordnungsdient und es geht weiter. So die Theorie, die eine Zeit auch Praxis war. Doch inzwischen schlägt auch hier das Alter zu: die zur Verfügung stehenden Geräte sind nicht mehr zeitgemäß, vor allen Dingen halten sie der rasanten Entwicklung neuer Bauarten von E-Rollstühlen nicht mit und sind daher schlicht nicht mehr einsatzbereit. Die VGF bereitet daher die Beschaffung neuer Treppensteiger vor, die sicher und leicht bedienbar sind, und auch schwere und größere Elektro-Rollstuhle tragen können.
Barrierefreies Reisen
Wer im öffentlichen Verkehr auf funktionierende Fahrstühle angewiesen ist, kann sich auf der Homepage der VGF unter
Status Aufzüge | VGF (vgf-ffm.de)
über den aktuellen Betriebszustand informieren. Das gilt auch für Fahrtreppen und funktioniert fast immer. Doch ausgerechnet an diesem Januar-Tag zeigte die Seite – ein unglücklicher Zufall auf Grund fehlerhafter Eingabe – die Störung nicht korrekt an, was die Fahrt von unserem Fahrgast Walter H. komplett zu einem negativen Erlebnis machte.
[1] Der Name ist Fiktion, der Vorfall einer Beschwerde der FBAG in der Sitzung des Mobilitätsausschusses am 17. Januar 2022 angelehnt.
Christoph Uth
Gepostet am 11:43h, 08 AprilWas mir als Blinder mit Führhund schon enorm helfen würde, wäre, wenn an allen Stationen eine normale Treppe genauso gut zu erreichen wäre wie die Rolltreppen. Zum Beispiel am Hauptbahnhof ist es sehr schwierig für mich, eine normale Treppe zu finden, wenn die Aufzüge wieder einmal nicht funktionieren. Das betrifft den Übergang von der S-Bahn zu den Fernzügen.
bec.
Gepostet am 12:18h, 08 AprilDa haben Sie Recht. Einige der Stationen – der HBF betrifft jetzt die DB, aber das ist bei einer VGF-Station wie der Hauptwache ebenso, sie stammen auch etwa aus derselben Zeit – sind irgendwie komplett verbaut. Da wird es extrem schwer, im Bestand baulich“ aufzuräumen“. bec.