„Gleis-Facelift“ für den Betriebshof Gutleut

Teergeruch liegt in der Luft, diverse Baumaschinen sorgen – mal dröhnend, mal ratternd – für eine diffuse Geräuschmauer, wie sie nur Baustellen umgibt, wo die Arbeit auf Hochtouren läuft und sich jede Menge „Men in Orange“ an fest jeder Stelle des Baufelds zu schaffen machen. Willkommen im Betriebshof Gutleut, dem Straßenbahn-Depot der VGF, das seit Oktober 2020 eine umfassende Rundumerneuerung der Gleisinfrastruktur erlebt.

Der Anblick müsste auch Projektleiterin Jalda Arin erfreuen: Vor lauter Bauarbeitern in oranger Kluft und schwerem Gerät ist die Baustelle im Betriebshof kaum zu sehen. Daß Arin, Bauingenieurin im Dienste der VGF, nicht allzu begeistert ist – zumindest zeigt sie es nicht –, liegt daran, daß emsige Betriebsamkeit auf einer Baustelle für sie normal ist. Alles andere würde beunruhigen.

Reibungsloser Ablauf

Der insgesamt reibungslose Ablauf ist Zeichen dafür, daß die komplette Erneuerung von Gleisen, Weichen, Oberleitungen und jeder Menge anderen Gewerken auf dem Hof vor den Fahrzeug-Hallen ohne große Komplikationen vonstattengeht. Daß die VGF den Termin zur Wiederinbetriebnahme um zwei Wochen auf den 15. April verschieben mußte, ist bei einer Baustelle dieser Größenordnung nicht ungewöhnlich. Vor allem aber: es ist kein Beinbruch. Zum einen hat sich das Betriebskonzept, das den Einsatz der fast 100 sonst in Gutleut stationierten Straßenbahnen so regelt, daß die Arbeiten für Fahrgäste weitgehend unbemerkt blieben, wie erwartet schnell eingespielt, zum anderen kam ein Stillstand der Baustelle im Winter nicht überraschend. Anderthalb Wochen zwang Frost die Arbeiter zur Pause, obwohl die VGF in ihre Zeitplanung 14 Tage Puffer eingebaut hatte. Aber ab einer bestimmten Minustemperatur, kann eben kein Asphalt eingebracht werden.

Seit 19. Oktober 2020 ist der Betriebshof Gutleut wegen der Modernisierung von Weichen und Gleisen nicht mehr am Netz. Die in Gutleut beheimateten Straßenbahnen wurden auf andere Anlagen verteilt, um den Betrieb aufrecht zu halten; für Fahrgäste hatte der Gleisbau deshalb keine Auswirkungen. Die zum Betriebshof gehörende Werkstatt blieb anfahrbereit und konnte so geplante und notwendige Arbeiten an den Straßenbahnen fortsetzen.

Gleisbau, Weichenbau und mehr

Der Betriebshof wurde 1916 gebaut, im ersten Weltkrieg zunächst anders genutzt und dem Straßenbahn-Betrieb 1919 übergeben. Ganz so alt waren die Schienen und Weichen, die bis vor kurzem auf dem Gelände des Betriebshofs lagen, nicht. Aber mit einem Alter zwischen 35 und 43 Jahren waren sie doch in die Jahre gekommen, um eine umfassende Modernisierung zu rechtfertigen. Die VGF wollte die Anlage fit für die Zukunft machen, denn von der zweiten Jahreshälfte 2021 an sollen die ersten „T“-Wagen, Frankfurts neueste Straßenbahn-Generation, von Gutleut aus eingesetzt werden.

Das mündete in einer umfangreichen Sanierung: Schienen auf einer Länge von 2.738 m, 29 Weichen und rund 4.200 m Fahrdraht – inklusive 22 Oberleitungsmasten, an denen er hängt – hat die VGF tauschen lassen. Die Arbeiten, von denen die zweigleisige Zufahrt von der Mannheimer Straße, das gesamte Gleisfeld vor den Hallen sowie die Einfahrten zu den 27 Gleisen – davon vier Werkstattgleise – betroffen war, werden Mitte April abgeschlossen.

„Z-D-F“

Jalda Arin ist seit 2015 bei der VGF. Gutleut ist nicht ihr erstes Projekt, sie war auch für die Erweiterung des Betriebshofs Ost mit drei zusätzlichen Abstellgleisen verantwortlich. Und auch Gutleut kannte sie schon, denn hier lag die Verlängerung der Abstellgleise 1 bis 3 im Jahr 2016 in ihrer Verantwortung.

Im Verlauf der Arbeiten haben die VGF und die rund 25 beteiligten externen Firmen viel Boden und Material bewegt: 13.300 t Erde, 1.770 cbm Beton, 5.410 m² Asphalt. Dazu kamen 3.650 Ankerbolzen die eingesetzt und 334 Schweißstöße – mit ihnen werden Gleisstücke verbunden –, die erstellt werden mußten. 5.350 m Leerrohre wurden unterirdisch verlegt und 98 Schächte gesetzt, beides für diverse Kabel (u.a. für Weichenheizungen, Betriebshofbeleuchtung, Strom etc.). Ein neuer Abwasserkanal von 780 m ist entstanden, er ist Teil eines neuen Entwässerungssystems auf der Nordseite des Betriebshofs, da durch Verschiebung einiger Weichen das alte nicht mehr genutzt werden kann. Und last not least wurden auch 132 m Zaun erneuert.

Die Kosten des Mamut-Projekts – tatsächlich ist die nahezu komplette Gleis- und Weichenerneuerung eines „aktiven“ Betriebshofs in Deutschland in diesem Umfang eine absolute Seltenheit – belaufen sich auf rund zehn Millionen €.

Betriebshof Gutleut

Bei dem Projekt ging es der VGF nicht nur um eine möglichst schnelle Sanierung der Gleis- und Weichenanlagen, sondern auch darum, den Straßenbahn-Betrieb mit so wenigen Auswirkungen auf die Fahrgäste wie möglich aufrecht zu halten. Neben acht Museums-Bahnen und acht alten Anhängern sind in Gutleut nämlich 97 im Linienverkehr eingesetzte Straßenbahnen stationiert, darunter Fahrzeuge der Baureihen „R“, „S“ und „Pt“. Das heißt: Hier werden die Bahnen in der ohnehin kurzen Betriebspause nicht nur abgestellt, hier werden vor allem die sogenannten „Fristen“ erledigt, also in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Untersuchungen der Bahnen, ohne die ihr Betrieb nicht genehmigt wäre. Dazu kommen ungeplante Instandhaltungen – Reparaturen kleinerer Unfallschäden, Beseitigung von Vandalismusschäden –, Innen- und Außenreinigung, zurzeit auch die Corona-Desinfektion in den Bahnen.

Besondere Herausforderung

Die Herausforderung des Projekts lag in der zentralen Rolle, die ein funktionierender und voll ausgestatteter Straßenbahn-Betriebshof (in der VGF-Welt als „BH“ bezeichnet) für den Tram-Betrieb spielt: die oben genannten Arbeiten werden für 105 Bahnen in Gutleut zentral vorgenommen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Während des Gleisbaus mußte ein Teil dieser Tätigkeiten dezentral geleistet werden, da die Bahnen an drei verschiedenen Stellen im Netz abgestellt wurden: am Stadion, im BH Ost und im teilweise reaktivierten alten BH Eckenheim. In Eckenheim hat die VGF dafür eine provisorische Werkstatt eingerichtet, die laufende Arbeiten und kleinere Reparaturen erledigen konnte. Hierzu wurde die „Gutleut-Nachtschicht“ zwischen 18 und 6 Uhr nach Eckenheim verlegt.

Für „große“ Arbeiten blieb die Werkstatt in Gutleut offen und nachts auch anfahrbar. Dort wurden tagsüber die geplanten Arbeiten an Straßenbahnen – die genannten „Fristen“ – vorgenommen, für die das „Provisorium Eckenheim“ nicht ausgerüstet werden konnte. Das wiederum bedeutete: nachts zwischen 1 Uhr und 4 Uhr wurden ein bis vier Bahnen, an denen für den nächsten Tag „Fristen“ vorgesehen waren, über ein Gleis nach Gutleut gefahren, andere Fahrzeuge, an denen diese Arbeiten abgeschlossen wurden, kehrten nachts zu den ihnen zugewiesenen dezentralen Abstellanlagen zurück.

Betriebshof Eckenheim

Die Arbeiten in Gutleut bedeutete ein „Revival“ des 1911 eröffneten Betriebshofs Eckenheim. Hier wurde die Werkstatt im Sommer 2003 für den Regelbetrieb geschlossen, Teile der alten Einrichtung wurden für Rollkuren an „S“- und „U5“-Wagen genutzt. Das Depot diente als Abstellanlage, wurde aber – zum Glück – nicht verkauft. Seit Oktober wurden für 42 bis 45 Straßenbahnen nicht nur Teile der 30 überdachten Abstellgleise wieder genutzt, sondern auch die Werkstatt provisorisch wiederbelebt. Hierzu waren eine gründliche Reinigung, Prüfung von Gleisen und Weichen sowie die Ausstattung mit Werkzeug und Material notwendig. Dazu kamen Aufbau und Ausstattung von Containern mit Sozialräumen für die Werkstatt-Mannschaft und die Schaffung von Parkplätzen für die Mitarbeiter in ausreichender Zahl.

Eine Besonderheit: Gutleut verfügt über eine Unterflur-Drehbank, auf der die Räder der Straßenbahnen geschliffen werden. Dies führt zu einem geschmeidigeren Lauf und einer größeren Laufruhe, außerdem wird damit der Verschleiß verringert. Für Eckenheim hatte die VGF eine mobile Drehbank im Einsatz, die sie bei einer Spezialfirma gemietet hat, da auf das Schleifen der Radsätze während der Bauzeit nicht verzichtet werden konnte.

Betriebshof Ost und Abstellanlage Stadion

Der 2003 eröffnete Betriebshof Ost verfügt nicht nur über eine solche Drehmaschine, sondern auch über alle anderen Einrichtungen, die für einen Straßenbahn-Betrieb nötig sind – von der Werkstatt, über eine Waschanlage bis zu Abstellgleisen. Von den 119 für den Linien-Einsatz zur Verfügung stehenden Straßenbahn-Wagen der VGF stehen regulär 29 im Riederwald, mit ca. 20 weiteren Bahnen aus Gutleut wurde die Kapazität vorübergehend ausgeschöpft. Die große Gleisanlage am Stadion wiederum wird normalerweise nur bei Veranstaltungen genutzt, die VGF hat sie in den vergangenen Winterwochen als Abstellanlage genutzt, wo die Reinigung der Innenräume von rund 26 übernachtenden Fahrzeugen stattfand.

Die VGF ging auf Grund des gültigen Wageneinsatzplans von rund 91 zu verlegenden Bahnen aus, obwohl in Gutleut 105 Fahrzeuge beheimatet sind. Die Differenz erklärt sich mit den Bahnen, die für „große“ Fristen und wegen Unfallschäden längerfristig in der Zentralwerkstatt in Rödelheim stehen.

Beteiligung fast des gesamten Unternehmens

Mit den Abteilungen Fahrweg, Systemtechnik, Fahrstromtechnik, Gebäudemanagement, der Geschäftsstelle BOStrab, den Stadtbahnwerkstätten, dem Betrieb Schiene, dem Betriebsmanagement, der Betriebsplanung; mit Controlling, Rechnungswesen und Einkauf, dem Sicherheitstechnischen Dienst, Kundendienst und Vertrieb, dem Ordnungsdienst, dem Immobilienmanagement, den Fachbereichen Rechtsangelegenheiten und Organisationsentwicklung sowie der Unternehmenskommunikation waren zahlreiche Abteilungen der VGF auf die eine oder andere Art mit dem Vorhaben beschäftigt.

Herausforderung für den Fahrdienst

Einen Kraftakt stellte das Vorhaben besonders für eine Abteilung, bei der das von außen zunächst nicht bemerkt wird und auch nicht bemerkt werden sollte: Für den Fahrdienst ist es eine enorme Umstellung und organisatorische Herausforderung, wenn 186 tägliche Dienste nicht zentral in Gutleut beginnen, sondern dezentral in Eckenheim, im Betriebshof Ost und am Stadion. Hier hatte die VGF ein aufwendiges Konzept erstellt, für dessen reibungslose Umsetzung und das pünktliche Einfädeln aller Fahrzeuge ins Netz jeden Tag ein Rädchen ins andere greifen mußten. Schließlich sollten Fahrgäste im Idealfall keine Auswirkungen der Arbeiten auf den Fahrplan mitbekommen.

Restarbeiten

Für Jalda Arin hatte die Arbeit an dem Projekt lange vor dem eigentlichen Start der Bauarbeiten begonnen. Ein Jahr dauerten die Vorbereitungen inklusive der bei einem 10-Millionen-Euro-Projekt notwendigen Ausschreibungen. Ganz davon zu schweigen, daß Weichen, die eben nicht von der Stange zu kaufen sind, fast ein Jahr Lieferzeit haben. Urlaub hat sie seit Oktober nicht gehabt, aber der erfolgreiche Abschluß der Arbeiten zeichnet sich ab: Inzwischen liegen Gleise und Weichen. Ein Teil der Fahrdrahtanlage ist gespannt und alle notwendigen Masten sind gesetzt. Bevor Mitte April die ersten Züge in ihr Nest zurückkehren, stehen  aber noch wichtige Arbeiten an: der Gleiswechsel in der Mannheimer Straße – vor dem eigentlichen Betriebshoftor –, wird ausgetauscht, Asphaltarbeiten zwischen den Gleisen, Montage der Beleuchtung auf die dafür vorgesehenen Masten. Außerdem wird die elektrische Schranke am Zufahrtstor erneuert und ein Container für den Pförtner aufgestellt. Alles wichtig, aber nichts, was die jetzt vorgesehene Inbetriebnahme verzögern sollte.

Baustellen-Corona

Und dann ist da noch Corona. Wie funktioniert eigentlich so eine Baustelle in Corona-Zeiten, fragt man sich?

Gut, möchte man sagen, wenn man bedenkt, daß es während der Arbeiten bis jetzt nicht einen Corona-Fall gab. Da ist auch Glück im Spiel, klar, aber es kommt auch nicht von ungefähr. Masken tragen Arbeiter nicht oder selten, die harte körperliche Arbeit, die auch Bagger oder anderes technisches Gerät nicht ersetzen kann, macht OP- oder FFP2-Masken kaum erträglich. Aber die Arbeit an der frischen Luft – o.k., der Geruch von frischem Teer, der während der Asphaltierung allgegenwärtig ist, scheint dieser Formulierung zu widersprechen – und ein paar wichtige Hygiene-Maßnahmen der Bauleitung haben „negative Wirkung“ gezeigt: größere Container für Aufenthaltsräume und WC, Masken in den Pausenzeiten, Möglichkeiten zur Desinfektion und Listen zum Ein- und Austragen, um Nachverfolgung der auf der Baustelle Beschäftigten zu gewährleisten.

Für die Arbeiten in Gutleut gilt, was auf die ganze VGF seit einem Jahr zutrifft: Der Virus mag Manches verändert haben, vielleicht sogar dauerhaft, aber er hat nichts gestoppt oder verhindert.

 

Der Betriebshof Gutleut:

Wie die Betriebshöfe Heddernheim (Eröffnung 1910) und Eckenheim (Eröffnung 1911) wurde das Straßenbahn-Depot Gutleut zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Betrieb genommen: Seit 16. Juni 1919 wurde es von der Städtischen Straßenbahn als Betriebshof Gneisenau genutzt. Da war die Anlage schon drei Jahre alt, doch die 1916 fertig gestellten Hallen wurden im ersten Weltkrieg zunächst durch die Kriegsleder AG fremdgenutzt. Erst danach zogen Straßenbahnen, in den 20er Jahren auch Omnibusse, ein. Im Juni 2019 feierte die VGF das „Hundertjährige“ mit einem Tag der offenen Tür. In der zweiten Jahreshälfte 2021 werden neue Straßenbahnen nach Gutleut kommen und von hier eingesetzt: die ersten von zurzeit 45 bestellten „T“-Wagen des Herstellers Alstom. Zunächst kommen dreiteilige Bahnen der 31,5 m langen Kurz-Version, von Ende 2022 an vierteilige 40 m-Einheiten.

Die Aufnahmen sind Bilder einer VGF-Drohne, die den Fortschritt der Bauarbeiten von Juli 2020 (Zustand vor Baubeginn, mit einem „Bewohner“ in seinem natürlichen Habitat) bis März 2021 (fast fertig) dokumentiert. Am unteren Bildrand sind die Dächer der Wagenhallen zu sehen, der markante Vorbau gehört zum viergleisigen Werkstatt-Bereich.

 

Bernd Conrads
B.Conrads@vgf-ffm.de
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