Ausschnitt zweier verbundener Bahnwagons

Frankfurts neuer „U45“-U-Bahnzug

Seit Sommer 2015 fahren in Frankfurt U-Bahn-Züge, die auf den ersten Blick keine Besonderheit darstellen: Verbände aus älteren „U4“- und neuen „U5“-Wagen. Aber genau das ist das Außergewöhnliche: Es handelt sich um U-Bahn-Wagen unterschiedlicher Hersteller, verschiedener Baujahre und erheblich voneinander abweichender technischer Konfiguration. Solche Fahrzeuge lassen sich nicht „mal eben“ zusammen kuppeln. Um es prosaisch auszudrücken: derartig unterschiedliche U-Bahn-Wagen sprechen nicht dieselbe Sprache, sie „verstehen sich nicht“.

Das mit dem Unterschied auf den ersten Blick, ist durchaus wörtlich zu verstehen. Alle „U4“-Wagen durchlaufen zurzeit eine Auffrischung, in deren Rahmen auch die Innenausstattung – unter anderem mit den markant orangen Türbereichen – den neuen „U5“ angepaßt wird. Die alten sehen von innen aus wie die neuen Wagen: Sitze, Fahrgast-Informationssystem, gelbe Haltestangen. Wer beim Einsteigen nicht aufpasst, kann während der Fahrt den Unterschied nicht mehr erkennen. Vielleicht noch fühlen, gerade im Sommer, denn wegen der Statik kann die VGF keine schweren Klimageräte auf die Dächer der „U4“ installieren, diese Wagen haben also weiterhin – im Gegensatz zu den vom Hersteller entsprechend ausgestatteten „U5“ – keine Klimaanlagen. Lediglich kleine und leichtere Geräte können auf die beiden Fahrerstände montiert werden, äußerlich zu erkennen an den schnittigen „Dach-Spoilern“.

Die Verbände, nicht ganz ernst als „U45“ bezeichnet, werden vom Betriebshof Heddernheim aus eingesetzt, sie fahren vorzugsweise auf den Linien U1 und U2. Sie könnten auf allen Linien verkehren, aber „U4“-Wagen stehen seit ihrer Anschaffung 1994 / 1995 ausschließlich in Heddernheim und fahren nur auf Linien der A-Strecke. Doch bis der erste „U45“ fahren konnte, mußten viele Hürden übersprungen werden.

TraktionU4_U5_U1

Die Ausgangslage

2003 haben wir mit der Planung für die Beschaffung neuer U-Bahnen begonnen. Da es sich um die fünfte Fahrzeug-Generation seit Öffnung des ersten U-Bahnabschnitts im Oktober 1968 handelt, trägt dieser Typ – seit 2008 inzwischen im Einsatz – die Bezeichnung „U5“. Anders als bei den Straßenbahnen des Typs „S“ war schnell klar, dass das Hochflurfahrzeug komplett neukonzipiert werden mußte, also kein schon vorhandenes Fahrzeug eines anderen Betriebs als Plattform dienen konnte.

Um keine Stationen für eine neue Wagenhöhe umbauen zu müssen – die VGF finanziert seit Jahren einen teuren barrierefreien Umbau der ober- und unterirdischen Bestands-Stationen, diese erneut anzufassen kam daher nicht in Frage –, entschieden wir uns, uns mechanisch den im Einsatz befindlichen älteren „U3“- und „U4“-Fahrzeugen des Herstellers Siemens anzugleichen. Für die übrige Fahrzeugtechnik waren die

  • Anforderungen der Fahrgastgremien
  • Bedürfnisse einer günstigen und einfachen Instandhaltung sowie die
  • betrieblichen Anforderungen

Eckpfeiler der Konzeption. Besonders die betrieblichen Randbedingungen des Fahrzeugeinsatzes sollten verbessert werden. Hier sahen wir die

  • kurz gekuppelten 25m-Einheiten und die
  • Bildung von Traktionen verschiedener Fahrzeugtypen

als Verbesserung-Potential.

Mit der späteren Konzeption des 50 Meter langen „U5-50-Fahrzeugs“, das an die seit 1999 im Betrieb fahrenden „TW2500“ der Hannoveraner üstra angelehnt ist, haben wir die Kurzkupplung schließlich eingeführt.

Die Bildung von Traktionsverbänden verschiedener Fahrzeugtypen stellte allerdings eine technische Herausforderung dar, die bisher neu war. Anders als bei den Betrieben in Calgary oder San Diego, die diese Thematik mit Traktionen aus Fahrzeugen mit Gleich- und Drehstromantriebstechnik desselben Herstellers schon gelöst haben, hatte bei uns nur die Traktion zweier „Drehstromfahrzeuge“ Sinn, da alle anderen Fahrzeugtypen mit Auslieferung des „U5“-Fahrzeugs schrittweise aus dem Betrieb genommen werden sollen.

Ob es überhaupt möglich war, Zugverbände aus neuen „U5“- und älteren „U4“-Fahrzeugen zu bilden, war bei der „U5“-Beschaffung damit ein technisches Risiko. Allerdings bot sich uns so die Chance, erstmals unsere gesamte Stadtbahnflotte untereinander zu kuppeln. Auf diese Weise sollten Verfügbarkeitsprobleme in der Zugbildung der Vergangenheit angehören; zusätzlich war damit eine Reduzierung der Fahrzeugreserve möglich.

Vor diesen Hintergründen hielten wir die Forderung nach diesen gemischten Verbänden aufrecht, im Lastenheft wurde sie detailliert:

  • Der „U5“ soll sich bezüglich Design, Maßen und Farbgebung am 1994 / 1995 in Dienst gestellten „U4“ orientieren, um eine harmonische Einheit zu bilden.
  • Im Regel- und Notfahrbetrieb müssen die neuen Fahrzeuge mit den vorhandenen Fahrzeugen des Typs „U4“ mechanisch und elektrisch voll kuppelbar sein.
  • Die beiden Fahrzeuge müssen zusammen in gemischten Zugverbänden (max. vier Wagen) in beliebiger Zusammenstellung voll funktionsfähige Kompositionen bilden und im Fahrgastverkehr einsetzbar sein.
  • Das automatische Kuppeln im Betrieb muss zwischen „U4“-, „U5-25“- und „U5-50“-Fahrzeugen möglich sein.
  • Eine Berechnung der Entgleisungssicherheit ist auch unter Berücksichtigung gemischter Zugverbände aus „U4“- und „U5“-Fahrzeugen zu erstellen.
  • Die projektierten Beschleunigungen und Verzögerungen sind in ihrem Verlauf über die Fahrzeuggeschwindigkeit mit den Parametern des „U4“ abzugleichen, um im Traktionsbetrieb Differenzkräfte an der Fahrzeugkupplung auszuschließen.

Zusätzlich wollten wir berücksichtigt sehen:

  • Die Funktionalität des „U4“-Fahrzeugs darf nicht verändert werden, der „U5“ musste im gekuppelten Zustand seine Funktionalitäten dem Altfahrzeug anpassen.
  • Im reinen „U5“-Betrieb müssen die Vorteile der neuen Leittechnik und erweiterte Funktionalitäten (Diagnosemeldungen, Ausfallbetriebe, etc.) nutzbar sein.
  • Das „U5“-Fahrzeug muss auf neuesten Sicherheitsstandards basieren und das gültige bzw. aktuelle Sicherheitskonzept erfüllen.

Die Herausforderungen

Der Zuschlag für die Lieferung von zunächst 174 25-Meter-Einheiten, bezeichnet als Typ „U5-25“, ging an Bombardier Transportation (BT), wo auch die erwähnten „S“-Straßenbahnwagen produziert wurden.

Mit der im Vertrag verankerten Forderung nach betrieblicher Kuppelbarkeit der neuen „U5“- mit unveränderten „U4“-Fahrzeugen stellten wir BT vor eine schwierige Aufgabe. Die Bestandsfahrzeuge mussten nicht nur in der Lage sein, von einem neuen „U5“-Wagen geführt zu werden, sondern in beliebiger Konstellation der „U5-25“-, „U5“-50 und „U4“-Fahrzeuge eine voll funktionsfähige Mischtraktion zu bilden. Die maximale Zuglänge ist auf vier Fahrzeuge – rund 100 Meter Länge – festgelegt.

Verstärkt wurden diese Probleme dadurch, daß eine detaillierte Dokumentation der 20 Jahre alten „U4“ Fahrzeuge – insbesondere durch die unzureichend beschriebene Funktionalität der Signale an der Kupplung –, fehlte. Um das nachzuholen, mussten wir mit BT zuerst die Funktionalität der Fahrzeugsteuerung und der Diagnose sowie das Bedienkonzept der „U4“-Wagen ausführlich nachdokumentieren. Abschließend folgten gemeinsame Messungen der elektrischen Parameter sowie der zeitlichen Verläufe der Signale an einem „U4“. Mit den so gewonnenen Informationen konnten die funktionalen Anforderungen an die Kuppelbarkeit der beiden verschiedenen Typen festgelegt werden.

Ein weiteres Problem stellte die Angleichung der Fahr- und Bremsdynamik der Fahrzeuge dar. Hierzu sollten in der Mischtraktion die unterschiedlichen Antriebs- und Brems-Charakteristiken des „U5“-Fahrzeugs den aufgenommenen „U4“-Kennlinien angeglichen werden. Im reinen „U5“-Betrieb sollte jedoch die volle Leistungsfähigkeit der modernen Antriebe nutzbar sein. Auch die Anzeigen der Betriebs- und Diagnosemeldungen am Fahrerdisplay im Mischbetrieb mussten wir eingehend betrachten. Denn: Ein großer Teil der Meldungen konnte zwar im „U5“ identisch projektiert und damit auch in beiden Fahrzeugtypen in gleicher Weise angezeigt werden. Eine besondere Lösung war aber für die Anzeige der Meldungen zu den nur im „U5“ verfügbaren Systemen und Zuständen in einem besetzten „U4“-Fahrerstand notwendig. Als Beispiel sei hier die nur in den neuen Fahrzeugen vorhandene Klimaanlage genannt: Wie sollen die Meldungen zur Klimatisierung im Führerstand des „U4“ angezeigt werden, wo dieses Fahrzeug doch über keine entsprechenden Anlagen oder eben Anzeigen dafür verfügt?

Eine Herausforderung ganz anderer Art wurde bei der Betrachtung der Sicherheitsniveaus der Fahrzeuge deutlich. Die Bestandsfahrzeuge erfüllen sowohl einzeln als auch in der Traktion die zum Zeitpunkt ihrer Zulassung gültigen Normen. Der „U5“ musste aber die bei seiner Zulassung geltenden, weiter entwickelten Normen vollständig erfüllen. Welchen Normen muss nun die aus „U4“ und „U5“ bestehende Mischtraktion gerecht werden? Eine eindeutige Regelung gab es hier nicht.

TraktionU4_U5_Ginnheim

Die Umsetzung

Jede neue Fahrzeuggeneration wird mit einer modernen Leittechnikstruktur nach neuestem Stand ausgestattet. Die erste Herausforderung eines Zugverbands aus unterschiedlichen Fahrzeug-Generationen stellt also die Kopplung der unterschiedlichen zugweiten Kommunikationsnetzwerke dar.

Auswirkungen hat die Kupplung „U4-U5“ auf die Fahrzeugfunktionen. Die im „U5“ gewählten Lösungen wurden dabei stets auf Kompatibilität mit den im „U4“ vorhandenen Funktionen überprüft. Dadurch wurden sowohl Software- als auch Hardwareschaltungen so angepasst, dass diese mit den „U4“-Realisierungen nicht kollidieren. Alle Funktionen und Schaltungen im „U5“ wurden so entwickelt, dass sie sowohl im reinen „U5“- als auch im „U4“-Modus optimal ausgelegt sind. Zusammen mit der Erfüllung neuester Sicherheitsanforderungen und moderner Schaltungen bildete dieser Designabschnitt die größte Herausforderung.

Anders verhält es sich mit den Fahreranzeigen (Betriebsdiagnose) und der Werkstattdiagnose. Moderne Leittechniksysteme sind darauf ausgelegt, umfangreiche Diagnosefähigkeiten und Anzeigen zu ermöglichen. Der „U5“ bietet so gegenüber dem älteren „U4“ einen deutlich größeren Anzeige- und Diagnoseumfang. Eine weitere wichtige Randbedingung bezüglich Anzeige- und Diagnosekonzept ist die Tatsache, dass in beiden Fahrzeuggenerationen unterschiedliche Systeme mit teilweise unterschiedlicher Funktionalität eingebaut sind. Deshalb entschieden wir uns mit BT in diesem Punkt, die beiden Fahrzeugmodi getrennt zu betrachten. Konkret: Im reinen „U5“-Modus ist der volle Anzeige- und Diagnoseumfang ohne Einschränkung vorhanden; im „U45“-Modus wiederum wird im führenden Fahrerraum – unabhängig davon ob dies ein „U4“ oder „U5“ ist – der Funktionsumfang und die Anzeigen des „U4“ auf dem Fahrerdisplay gezeigt. Die Ablage der Daten für die Werkstattdiagnose erfolgt fahrzeugspezifisch im jeweiligen Steuergerät. Werden zusätzliche Anzeigen und Meldungen aus der „U5“-Funktionalität im „U4“-Modus benötigt, wird eine Reservemeldung auf dem Display ausgewählt und angezeigt. Aufgrund der Vorgabe, dass keine Änderungen am „U4“ vorgenommen werden, wird auch der im „U4“ hinterlegte Text der Reservemeldung verwendet. Die Fahrer werden geschult, diese Reservemeldung als „U5“-Fahrzeugspezifische Meldung zu erkennen.

Um unseren Fahrern dennoch die Möglichkeiten der umfangreichen Betriebsdiagnose des modernen „U5“ zur Verfügung zu stellen, wurde ein weiteres Feature in die „U5“-Fahrzeugsteuerung einbezogen: Erhält der Fahrer im „U4“-Modus eine entsprechende Meldung, kann er sich im gestörten Fahrzeug (unabhängig der Position im Zugverband) über eine Tastenkombination das (im geführten Fahrzeug dunkel geschaltete) Fahrerdisplay im „U5“-Anzeigemodus einschalten und dort die fahrzeugspezifischen „U5“-Meldungen abrufen.

Zuletzt sei an dieser Stelle noch die Fahrdynamik erwähnt. Auch wenn auf den ersten Blick zwei unterschiedliche Traktions- und Bremssysteme im „U4“ und „U5“ verwendet werden und unterschiedliche Charakteristiken im jeweiligen reinen Fahrbetrieb erkennbar sind, haben wir bei der Entwicklung darauf geachtet, im „U45“-Modus die Fahrkennlinien des „U4“ nachzuempfinden. Hierzu haben wir ausführliche Messungen der Fahrdynamik des „U4“ vorgenommen. Eine unterschiedliche Fahrdynamik hätte u.a. negative Auswirkungen auf die Kupplungsbelastung und die Aufteilung der Beiträge der einzelnen Fahrzeuge zur Gesamt-Fahrzeugbeschleunigung. Wir mußten vermeiden, dass ein Fahrzeug stärker beschleunigt als das andere und damit das andere Fahrzeug „mitzieht“ bzw. „mitbremst“. Deshalb sind in der zentralen Fahrzeugsteuerung in den beiden Steuergeräten unterschiedliche Kennlinien für den reinen „U5“-Betrieb und den „U4“-Fahrbetrieb hinterlegt.

Die Zulassung

Die Zulassung der gemischten Zugverbände erfolgte in enger Abstimmung mit der zuständigen Technischen Aufsichtsbehörde (TAB) und basierte auf den schon erfolgten Zulassungen der „U5-25“- und „U5-50“-Fahrzeuge.

Uns war wichtig, dass die „U4-/U5“-Traktions-Software auf ein stabiles und erprobtes „Grundsoftwarerelease“ aufbauen konnte. Das machte Software-Anpassungen nötig, was wiederum die Umsetzung verzögerte – mit Hinblick auf die Qualität haben wir das aber in Kauf genommen.

Mit der Traktion von Fahrzeugen unterschiedlicher Generationen betraten wir und BT technisches Neuland, deshalb haben wird nach Abstimmung mit der TAB schon in der Projektierungsphase einen externen Gutachter zur Verifizierung der technischen Lösung eingebunden.

Beim Abnahme- und Zulassungsprozess erwies sich die seit 2001 bestehende Geschäftsbeziehung mit Bombardier und die auf der Projektebene entstandenen Kontakte als hilfreich.

Die Software haben wir mit BT in der Entstehung in intensiven Leittechnik-Gesprächen erörtert, unser Fahrdienst wurde schon bei den ersten „Kuppeltests“ im BT-Werk Bautzen in Person eines Fahrlehrers – der die Thematik aus Fahrersicht auch im weiteren Verlauf des Projekts betreute – einbezogen.

Grundsätzlich hatten wir unter Einbeziehung des externen Gutachters folgende Zulassungsmeilensteine vereinbart:

  • Statischer / dynamischer Funktionstest bei Bombardier in Bautzen unter Einbeziehung der VGF
  • Typprüfung bei VGF
  • Probebetrieb ohne Fahrgäste im Fahrschulbetrieb

Danach erfolgte die Abnahme gemäß BOStrab §57 durch die TAB.

Auswirkungen auf den Betrieb

Dem Betrieb von Traktionen unterschiedlicher Fahrzeuge drohen Störungen immer dann, wenn der Funktionsumfang oder die Fahrdynamik der jeweiligen Fahrzeug-Generationen unterschiedlich sind. Unter der Voraussetzung, dass das Bestandsfahrzeug nicht geändert wird, muss folglich immer das Neufahrzeug adaptiert werden.

Zum Betrieb der gemischten Zugverbände wurden alle damals 730 Fahrbediensteten der VGF im Rahmen des regelmäßigen Dienstunterrichts im Zeitraum von knapp einem Jahr nachgeschult. Grundvoraussetzung war, dass der „U4-/U5“-Verband betrieblich wie ein reiner „U4“-Verband behandelt wird, d.h. dass tiefergehende Diagnosemöglichkeiten des „U5“-Fahrzeugs im Betrieb nicht unmittelbar genutzt werden.

Besonderes Augenmerk haben wir auf die Unterschiede in Bedienung und Funktionsumfang im „U4“-Modus gelegt, wenn der Zugverband von aus einem führenden „U5“ bedient wird. Denn: nicht alle im „U5“ erwarteten Funktionen sind dabei verfügbar. So sind über den Funktionsumfang des „U4“ hinausgehende Features des „U5“ – z.B. ein Tempomat – im „U4“-Modus nicht anwählbar. Auch die Möglichkeit, Netzstrombegrenzung manuell durch das Fahrpersonal am Fahrerdisplay einzugeben, ist im „U4“-Modus nicht möglich, da der ältere Wagen diese Funktion nicht unterstützt. Ebenso muß der Fahrer die Reduzierung auf die Anzeigen und Betriebsdiagnosemeldungen des „U4“ beachten.

Beim Linieneinsatz haben wir das ursprüngliche Ziel der freien Einsatzbarkeit erreicht, wobei sich der Ersteinsatz an der „A-Strecke“ – dem ältesten und am stärksten frequentierten U-Bahnabschnitt, auf dem heute die Linien U1, U2, U3 und U8 verlaufen – und dem Standort der „U4“-Fahrzeug in der Betriebswerkstatt Heddernheim orientierte. Damit haben wir die Mischtraktion von Anfang an den schärfsten Einsatzbedingungen im Frankfurter U-Bahnnetz unterzogen, da hier die Züge in der Hauptverkehrszeit (HVZ) im 2,5-Minutentakt verkehren.

TraktionU4_U5_U4fuehrend

Erste Betriebserfahrungen

Auf der „A-Strecke“ begann der Fahrgasteinsatz mit vorliegender BOStrab-Abnahme. Es erfolgte eine schrittweise Steigerung der technischen Komplexität der Zugverbände:

  • zuerst nur am Wochenende bei längerem Takt
  • zwei Wochen hintereinander nur Zweiwagen-Zugverbände
  • Steigerung auf Drei- und Vierwagenzüge

In der Startphase der Betriebsaufnahme wurde die Mischtraktion von besonders interessierten Fahrern gefahren, nach kurzer Zeit wurde die Traktion frei eingeplant, lediglich ein optimierter Störmeldebogen blieb als Besonderheit im Betriebsablauf zurück.

Die Erfahrungen waren so positiv, dass wir bald einen Dreiwagenzug aus zwei „U5“- und einem „U4“-Fahrzeug wochentags in der HVZ einsetzen konnten. Hier erlebten wir dann aber einen Rückschlag, da der Zugverband mehrmals kurz nach dem Einschieben mit Störung wieder ausgewechselt werden musste. Wichtig: der Zugverband verhielt sich sicherheitsrelevant ordnungsgemäß, konnte aber offensichtlich seine geforderte Verfügbarkeit nicht einhalten.

Da keine nachvollziehbaren Hard- oder Softwareprobleme sichtbar waren, mußten wir die Mischtraktion in Abstimmung mit BT vorerst wieder aus dem Betrieb nehmen und sie einem intensiven Mess- und Testprogramm unterziehen. Natürlich traten zuerst keine Auffälligkeiten auf, bis zum ersten Mal verwertbare Vorfälle vorlagen. Ergebnis der Untersuchungen: Beim ersten Betriebseinsatz – und insbesondere beim Übergang vom Wochenend- auf den Wochentagseinsatz – hatten wir zu wenig Augenmerk auf die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Zugtaufe gelegt. D. h.: Die betroffenen Züge waren kurz vor dem Betriebseinsatz zusammengestellt worden und gingen unmittelbar danach auf die Linie. Nach einer korrekt durchlaufenen Zugtaufe traten hingegen keine Probleme auf.

Danach haben wir die Bildung der gemischten Verbände und deren Überprüfung in Form einer Arbeitsanweisung neu definiert und darauf basierend die Zugverbände wieder in Betrieb genommen. Mit dem gewünschten Erfolg: die gemischten Zugverbände fahren seitdem ohne Probleme; ihr Fahrverhalten ist unauffällig und nicht von typenreinen Zugverbänden zu unterscheiden.

Davon abgesehen ist das Handling des gemischten Zugverbands einfach. Die bewußt in Kauf genommenen systembedingten Nachteile wie

  • geringere Betriebsdiagnose-Möglichkeiten als beim „U5“-Fahrzeug,
  • Zugverbandsbetrieb mit voll- und nicht klimatisierten Fahrzeugen,
  • Wegfall der Möglichkeit der manuellen Netzstrombegrenzung durch den Fahrer wie beim „U5“-Fahrzeug

sind bisher im Betrieb nur in einem Punkt aufgefallen: Im Sommer 2015 häuften sich Beschwerden über angeblich defekte Klimaanlagen, weil Fahrgäste nicht zwischen älteren und neuen Fahrzeugen im Verband unterscheiden können. Die Anlagen waren nicht defekt, die Fahrgäste saßen nur in einem „U4“, der gar keine Klimaanlagen hat.

 Chancen und Risiken

Das bisher erzielte Ergebnis erfüllt unsere Lastenheftforderungen, war aber nur durch eine offene und konstruktive Beteiligung von Hersteller, Zulassungsbehörde, externem Gutachter und Betreiber möglich. Der notwendige Verzicht auf bestimmte Funktionen oder die Definition ergänzender Verfahren erforderte im Projektverlauf immer wieder die Kompromissfähigkeit aller Beteiligten.

Das Hauptrisiko für uns und Bombardier lag in der unzureichenden technischen Dokumentation der alten „U4“-Fahrzeuge. Dem konnten wir nur durch aufwendige Messungen, Tests sowie intensiven Austausch zu betrieblichen Erfahrungen abhelfen. Das verbleibende Restrisiko wiederum war erst durch ausführliche Tests der Mischtraktion in der Endphase des Projekts auszuschließen. Dieser Prozess beinhaltete einen nur schwer kalkulierbaren, hohen zeitlichen und personellen Aufwand. Dies mußten wir mit der Anzahl der betroffenen Bestandfahrzeuge und der Restdauer ihres betrieblichen Einsatzes vergleichen.

Ein weder vom Hersteller noch von uns ganz beherrschbares Risiko ist die rechtliche Unsicherheit bei der Zulassung von Mischtraktion. Ohne Änderungen an Bestandsfahrzeugen kann die Mischtraktion nur die Funktionalität und das Sicherheitsniveau der bestehenden Fahrzeuge erreichen. Um das Projekt erfolgreich abzuschließen, muß das vom Gutachter und der Zulassungsbehörde akzeptiert werden.

Wir konnten unser Ziel nur mit einem Aufwand erreichen, der größer als erwartet war. Die Frage, die sich daraus ergibt: Übersteigt der Nutzen der technischen Innovation den Aufwand ihrer Entwicklung? Wir meinen: ja! Denn mit der jetzigen Lösung können wir erstmals eine Flotte von 361 Fahrzeugen zweier Hersteller und unterschiedlicher Fahrzeug-Generationen frei kuppeln und auf allen Linien beliebig einsetzen.

Damit reduzieren wir – wie erwartet – die Fahrzeugreserve und erhöhen gleichzeitig die Zuverlässigkeit der Kursbelegung, was letztlich Kundennutzen erhöht und Investitionsbedarf verringert. Somit haben sich die Anstrengungen gelohnt. Die Initiierung vergleichbarer Vorhaben bei Rheinbahn / KVB oder der BVG, die auf den Erfahrungen der VGF aufbauen, stützen diese These.

Ausblick

Aus unseren Erfahrungen lassen sich für künftige Projekte dieser Art eine Reihe von Schlußfolgerungen ziehen:

  • Eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Betreiber in der Entwicklungsphase ist notwendig.
  • Die Einbindung der Zulassungsbehörde und die Definition des Abnahmeprozesses sind essentiell und müssen zu Projektbeginn erfolgen.
  • Betreiber und TAB müssen das Prinzip „Das schwächste (= älteste) Glied bestimmt die Funktionalität und Sicherheit der Mischtraktion“ ohne Einschränkungen akzeptieren. Ist das nicht der Fall, muss mit einem Umbau und erneuter Zulassung der Bestandsfahrzeuge gerechnet werden.
  • Die technischen Anforderungen und Möglichkeiten der zu kuppelnden Fahrzeugtypen müssen genau definiert und bewertet werden. Es muss von Anfang an klar sein, welche Zugfunktionen erreicht werden können, um Nutzen bzw. Aufwand abzuschätzen. Der Aufwand, Kuppelfähigkeit herzustellen, wird nicht immer den Nutzen rechtfertigen; hier muss dezidiert auf die vorliegende Fahrzeugtechnik eingegangen werden.
  • Die Implementierung wird immer aufwendiger als bei typenreinen Zugverbänden sein, hierüber müssen sich die Vertragspartner von Vornherein im Klaren sein. Neben dem kommerziellen Faktor spielt auch die zeitliche Komponente eine Rolle.
  • Berücksichtigung umfangreicher Tests schon bei der Planung.
  • Nach erfolgreicher Implementierung ist ein unternehmensinternes Schulungs- und Kommunikationskonzept wichtig, weil gemischte Zugverbände im betrieblichen Umgang neu sind und daher nicht von allen Mitarbeitern nur positiv gesehen werden.
  • Parallel zeigt sich aber, dass die an der Entwicklung beteiligten Mitarbeiter hoch engagiert arbeiten und stolz auf die von Ihnen erreichten Ergebnisse sind, was sie wiederum an Kollegen im Unternehmen weiter geben – die Innovation wird zum Motivationsfaktor, ein überaus positiver Nebeneffekt.

Ist für einen Verkehrsbetrieb die Kuppelbarkeit von verschiedenen Fahrzeugtypen eine realistische Option, muss bei jeder Bestellung von neuen Fahrzeugen der Grundstein für deren Kuppelbarkeit mit zukünftigen Baureihen gelegt werden. Notwendig für die Kuppelbarkeit der Fahrzeuge sind die Übergabe entsprechender Dokumentations-Unterlagen und das Recht, diese zukünftigen Fahrzeugherstellern überlassen zu dürfen.

Die Erfahrungen zeigen, daß enormes Innovationspotential in einem Unternehmen wie der VGF und in der engen Zusammenarbeit mit dem Hersteller steckt. Diese positive Erkenntnis müssen wir dringend für andere Innovationsprojekte der Branche übernehmen, um das „System Bahn“ weiter zu entwickeln, kostengünstiger und verfügbarer zu gestalten und somit den Nutzen für unsere Kunden zu erhöhen.

Zusammenfassend sehen wir das Ergebnis als Bestätigung, daß unsere 2005 an den neuen „U5“ gestellten (hohen) Forderungen richtig waren. Bei künftigen Ausschreibungen in Frankfurt werden wir deshalb ähnlich vorgehen.

 

Bernd Conrads
B.Conrads@vgf-ffm.de
3 KOMMENTARE
  • Björn S.
    Gepostet am 14:36h, 06 Januar Antworten

    Hallo,
    ich finde euren Blog wirklich eine sehr gute Idee, da hier auch auf betriebliche Hintergründe eingegangen wird. Für mich als Bahninteressierten sind Texte oder Mitteilungen von Verkehrsunternehmen meist zu oberflächlich geschrieben – ihr zeigt mit diesem Artikel, dass es auch anders geht.
    Leider scheint der RSS-Feed in Firefox nicht so richtig zu funktionieren, ich kann ihn nicht abonnieren.
    Auf jeden Fall: Weiter so!

    Grüße aus Baden,
    Björn

    • Sascha Reimann, VGF
      Gepostet am 12:00h, 12 Januar Antworten

      Hallo und vielen Dank für das Lob.
      Wir lassen das Problem mit dem RSS-Feed überprüfen, danke für den Hinweis und weiterhin viel Spaß beim Lesen! 🙂

  • Hans Ulrich Parniske
    Gepostet am 16:02h, 07 Mai Antworten

    Schaut ähnlich aus, wie kürzlich auf der Linie U6 in Wien , Alt- und Neuwagen in EINER Zuggarnitur 🙂

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