„Men in Orange“ manchen’s möglich: Straßenbahnen am Hauptbahnhof fahren wieder
Sie machte Lärm und Dreck. Fünf Straßenbahnlinien fuhren nicht so, wie Fahrgäste es gewohnt sind. Fahrzeiten dauerten länger, Umwege mußten in Kauf genommen werden, vielleicht sogar Umstiege. Sie verursachte Staus für Autofahrer und behinderte Fußgänger – Radfahrer weniger, die fahren überall durch. Und am Montag, 12. September, ist sie nach zwei Wochen aufgehoben und abgebaut: die Baustelle am Hauptbahnhof, die seit 29. August den wichtigsten Knoten im Frankfurter Straßenbahnnetz lahm gelegt hat.
Die Baustelle stand unter Druck und Beobachtung, denn nachdem wir ankündigen mußten, daß der barrierefreie Umbau der Stationen „Musterschule“ und „Glauburgstraße“ nicht termingerecht fertig wird, schienen manche nur darauf zu warten, daß beim Gleisbau vor dem Hauptbahnhof Ähnliches passiert. Zumal auch diese Baustelle mit Risiko betrieben wurde: Eigentlich, so der Projektleiter vom VGF-Fachbereich „Fahrweg“, müssen für Arbeiten dieser Art und dieses Umfangs sechs Wochen – oder rund 1.000 Arbeitsstunden – angesetzt werden. Hier mußten zwei Wochen reichen, weil die Behinderungen für Fahrgäste, Anwohner, Hotelgäste und Autofahrer so gering wie möglich gehalten werden sollten.
Einschränkungen beim Bau
Deshalb mußte von der ersten Stunde an „rangeklotzt“ werden. Am Freitagmorgen, 9. September, lassen sich die Fortschritte dieses baulichen „Powerplays“ in den letzten Tagen und Nächten sehen: Die Gleise vor dem Hauptbahnhof liegen, alle acht Weichen sind eingebaut, die Asphaltdecke ist bis auf ein Reststück in der Münchener Straße verlegt, die Überfahrung der Straße Am Hauptbahnhof ist fertig. Sie wurde in zwei Phasen realisiert, so daß eine der Spuren Richtung Messe immer frei war. Denn: Der Autoverkehr durfte nicht gesperrt werden – eine der Bedingungen, die der VGF bei solchen Arbeiten gesetzt werden. Sie sind zwar sinnvoll – in diesem Fall für den Autofahrer –, für die VGF aber harte Vorgaben.
Das gilt auch für die inzwischen in Frankfurt seltenen Nachtbaugenehmigungen. Eine solche war hier unumgänglich, wenn die ohnehin knapp bemessene Bauzeit dennoch realistisch sein sollte. Doch solche Genehmigungen sind nicht leicht und kaum ohne Bedingungen zu bekommen. Hier wird ein Interessenkonflikt sichtbar: Natürlich wollen die zuständigen städtischen Ämter Anwohner vor nächtlichem Lärm und anderen Belästigungen schützen, gleichzeitig ist die möglichst kurze Bauzeit eine klare Forderung, der die VGF gerecht werden muß. Ein Spagat, der am Hauptbahnhof erfolgreich bewältigt wurde.
Unter solchen Bedingungen – knappe Zeit, enger Raum, rollender Verkehr – kommt der Koordination der Baustelle noch größere Bedeutung zu als ohnehin schon: An möglichst allen Stellen muß möglichst gleichzeitig und aufeinander abgestimmt gearbeitet werden. Hierbei darf sich keine der vier oder fünf gleichzeitig im Baufeld schaffenden Kolonnen gegenseitig behindern. Beteiligt sind nicht nur „nur“ Fremdfirmen, sondern außer dem federführenden Bereich „Fahrweg“ auch andere VGF-Abteilungen. Ganz wichtig: die Kolleginnen und Kollegen von der „Systemtechnik“ und der „Fahrstromtechnik“, denn ohne ordentlich angetriebene und einwandfrei funktionierende Weichen ist ein Straßenbahn-Betrieb genauso undenkbar wie ohne zuverlässig fließenden „Saft“ in der Oberleitung. Bei Arbeiten von so vielen unterschiedlichen Institutionen sollte auch nicht eine Stunde ungenutzt verloren gehen.
Instandsetzung? Neubau!
Das ist sie in den vergangenen 14 Tagen auch nicht, wie ein Blick auf die Baustelle, auf der noch immer zahllose „Men in Orange“ wuseln, zeigt: Das Stück von der Münchener Straße, Hausnummer 55, bis zur Weiche Am Hauptbahnhof ist fertig, sie selbst ist noch zu sehen, da die Asphaltdecke bis Freitag nicht eingezogen worden ist. Gut erkennbar sind so die Vorrichtungen für Schall- und Erschütterungsschutz an den Gleisen, die Fahrgästen und Anwohnern gleichermaßen zu Gute kommen. Denn: wenn wir für 2,07 Millionen € eine Grunderneuerung von Weichen und Gleisen ausschreiben, dann muß eine spürbare Verbesserung das Ziel unserer Arbeiten sein. Das heißt: mehr Komfort für die Fahrgäste durch eine leisere Fahrt und weniger Vibrationen. Schließlich sind die Ansprüche von Fahrgästen gewachsen. Und die Bereitschaft von Anwohnern, in Nachbarschaft einer über alte Gleise rumpelnden Straßenbahn zu wohnen, hat gleichzeitig nachgelassen.
Der Neubau der VGF, denn darum ging es am Hauptbahnhof de facto, hat mit alten Schienen, die auf einem Schotterbett im Boden liegen, nichts mehr zu tun. Früher wurden Gleise einfach gelegt und nach wenigen Tagen war die neue Strecke fertig. Viele Jahre reichte es, den Neubau per Augenmaß abzuschätzen, denn die Straßenbahnwagen waren leichter und sie fuhren langsamer. Im Schwanheimer Verkehrsmuseum der VGF sind die alten Typen zu sehen, für die diese Art des Gleisbaus ausreichend gewesen ist. Für die neuen „R“- und „S“-Wagen der VGF ist ein moderner Gleisbau nötig, und der ist vielleicht keine „Hightech“, aber sorgfältige, aufwendige und akurate Millimeter-Arbeit. Und die muß in Frankfurt nicht nur schnell, sondern hochqualitativ erledigt werden: Statt im Schotter haben die Gleise am Hauptbahnhof eine feste Fahrbahn, der bis zu 45 Zentimeter dicke Beton, der gegossen wurde, hat „Flughafen-Qualität“: Er entspricht dem, was die Fraport für die Parkbuchten der Flugzeuge verwendet, und wird damit allen Anforderungen moderner Statik gerecht.
Langer Planungsvorlauf
Auf dem 225 Meter langen Gleisstück liegen acht Weichen, die die Abzweigungen vom Hauptbahnhof in die Münchener Straße und zum Betriebshof Gutleut bilden. Sie ersetzen ihre Vorgängerinnen von 1994 und wurden vom österreichischen Hersteller Voest Alpine geliefert. Ein inzwischen für Käufer wie die VGF hart umkämpfter Markt, denn Weichen haben mittlerweile ein bis anderthalb Jahre Lieferzeit, was auch ein Grund für den Zeitpunkt der Arbeiten am Marbachweg ist, wo vom 17. Oktober an – und dann in den Herbstferien – eine neue Weiche eingebaut wird. Die langen Lieferzeiten bei nur zwei oder drei Herstellern auf dem Weltmarkt zeigen, daß Arbeiten wie die am Hauptbahnhof nicht von heute auf morgen angegangen werden, sondern eine lange Vorlauf-, Planungs-, Ausschreibungs- und Vergabezeit benötigen. Auch Genehmigungen verschiedener Ämter müssen eingeholt werden – so für die genannten Nachtarbeiten –, zum Teil laufen die Anträge der VGF für Arbeiten im Jahr 2017 schon jetzt. Denn: Im kommenden Jahr stehen fast 30 Gleisbauvorhaben auf unserem Arbeitsplan – wenn auch nicht in der Größe des Hauptbahnhofs. Sie bleiben nicht aus, wenn die U- und Straßenbahnen in Frankfurt fahren sollen, denn Instandhaltung kommt heute dieselbe Bedeutung wie Netzausbau und -erweiterung zu.
„Mädchen für alles“
Wer in Dienstkleidung und der obligatorischen orangen Warnweste auf der Baustelle unterwegs ist, ist grundsätzlich „Mädchen für alles“. So auch ich. Eine Besuchergruppe kommt vor dem Irish Pub an der Münchener Straße aus der Unterwelt, offensichtlich gerade mit dem Zug in Frankfurt angekommen. Und jetzt? Baustelle. Wo ist die 11? Und wie kommen sie zum Dialogmuseum auf die Hanauer Landstraße? Zum Glück habe ich die Antwort schnell parat: „Am besten zu Fuß vor bis zum Willy-Brandt-Platz, da fährt die 11, die fährt zur ‚Hanauer‘.“ Die Gruppe ist zufrieden, denn der Weg ist nicht weit und das Wetter gut.
Apropos „Wetter“. Mit dem haben wir Glück gehabt, denn zu große Hitze – im Sommer nicht unbedingt selten – hätte die bei der Montage der Schienen notwendigen Schweißarbeiten kritisch gemacht. Ohne Frage eines der Risiken, das wir bei den Arbeiten eingegangen sind.
Aber es ist gut gegangen. Und einen kleinen zeitlichen Puffer hat die Baustelle auch noch: Bevor am Sonntagabend die notwendige Abnahme durch den Betriebsleiter ansteht, die Voraussetzung für die Inbetriebnahme zu Betriebsbeginn am frühen Montagmorgen, 3 Uhr, stehen am Sonntag selbst nur noch kleinere Arbeiten auf dem Programm: die Straße muß markiert und sauber gemacht, die Baustelleneinrichtung abgebaut werden.
Kraft, Nerven, Energie
Die Verantwortlichen bei unserer Projektleitung kostet so ein Vorhaben Kraft, Nerven und Energie, unabhängig davon, daß die Baustelle an Musterschule und Glauburgstraße die Anforderungen und Erwartungen in die Höhe treibt. Als „urlaubsreif“ bezeichnet sich der Projektleiter am Freitagmorgen, aber für ihn geht es fast nahtlos weiter: Fast unmittelbar schließt sich ab 19. September das große Projekt auf der Mainzer Landstraße an, mit Gleisbau in Höhe der Galluswarte, der Rebstöcker Straße und der Waldschulstraße. Auch hier müssen alte Gleisanlagen instand gehalten werden, da sonst auf die Dauer der Betrieb nicht sicher, ja, nicht einmal aufrecht zu halten sein würde. Die Linien 11 und 21 werden zwischen Platz der Republik und Höchst Zuckschwerdtstraße durch Busse ersetzt. Das trifft bis 4. Oktober die Fahrgäste, deren Fahrt sich verlängert und die ihre Ziele nicht ohne umzusteigen erreichen können. Doch in diesen sauren Apfel müssen Fahrgäste und Unternehmen beißen.
Baustellen-Koordination
Eine oft geäußerte Kritik lautet, die VGF und andere städtische Unternehmen würden ihre Arbeiten nicht koordinieren. Das stimmt nicht! Wir verbinden unseren Gleisbau an der „Mainzer“ mit Arbeiten der Netzdienste Rhein-Main (NRM), um die Betriebsunterbrechung der Straßenbahn effizient zu nutzen. Die NRM baut seit Monaten nördlich und südlich der Mainzer Landstraße an einer Fernwärmeleitung, die unmittelbar nach Sperrung der Straßenbahn und Demontage der Gleise am 20. und 21. September unter der vielbefahrenen Straße in Nähe der Galluswarte verlegt wird. Nach Abschluß dieser Arbeiten, die auch über Nacht ausgeführt werden, um sie schnell abschließen zu können, beginnt die VGF mit ihren Gleisneubau. Ebenfalls auf der Mainzer Landstraße, in Höhe der Rebstöcker Straße, nutzt die NRM die Gleissperrung zur Reparatur eines Wasserrohrs.
Wir haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Großprojekte pünktlich und wie angekündigt abgeschlossen: Inbetriebnahme der Linie 17 zum Rebstockbad Ende 2003, U8 und U9 über den Riedberg im Dezember 2010, Linie 18 zum Gravensteiner-Platz zum Fahrplanwechsel 2011, Linie 17 in der Stresemannallee Ende 2014. Auch am Hauptbahnhof ist eine Großbaustelle unter schwierigen zeitlichen und räumlichen Bedingungen im angekündigten Zeit- und Kostenrahmen geblieben. Unserem Projektleiter ist die Anspannung der vergangenen Wochen anzusehen. Und die Erleichterung. Urlaub bekommt er aber keinen, er arbeitet an der Mainzer Landstraße gleich weiter, damit auch dieser Gleisbau wie angekündigt am 4. Oktober beendet ist und die Fahrgäste ihre gewohnten Linien 11 und 21 wieder nutzen können.
Jens
Gepostet am 18:17h, 10 SeptemberHut ab vor den Gleisbauarbeitern .
Bernd Conrads, VGF
Gepostet am 16:05h, 12 SeptemberDem schließen wir uns an! Umso mehr, als die Temperaturen zwar nicht so hoch waren, um das Schweißen zu behindern, es aber doch so heiß war, daß es für Gleisbauer eine ganz schöne Belastung gewesen ist! *bec.
Sean
Gepostet am 13:32h, 14 SeptemberHut ab vor der Leitung.
Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut läuft
Könnten sich andere Baustellen (vor allem die der Stadt) in der Stadt eine Scheibe abschneiden.
Oder was meint ihr?