Leider exotisch: Der Offenbacher O-Bus Nummer 55 in Frankfurt
Hoyerswerda 1989 bis 1994, Essen 1949 bis 1957, Köln 1950 bis 1959: Städte mit einer unrühmlich kurzen Betriebszeit von O-Bussen. Auch Frankfurt am Main gab dem Stangentaxi nur wenig Zeit, mit Unterbrechung 15 Jahre, dann wurde der Betrieb auf der einzigen Linie, der 60 zwischen Heddernheim und der Straßenbahn-Endhaltestelle an der Praunheimer Brücke, wieder eingestellt.
O-Busse in Frankfurt
In vielen Städten hatten die massiven Kriegsschäden an ortsfester und rollender Infrastruktur dazu geführt, daß die Betriebe nach 1945 offen für Experimente waren. Zumal solche, die Geld zu sparen versprachen. In Frankfurt startete man dagegen früher: am 6. Januar 1944. Aus der Not heraus, denn Treibstoff war Mangelware und Panzer die wichtigeren Abnehmer. Aber die Lösung war tatsächlich praktisch, denn an beiden Endpunkten der Linie nutzte man die eh vorhandene Stromversorgung der Straßenbahn. Nach einem Jahr war im Januar ’45 zunächst Schluß, aber vom 1. November 1948 bis 4. Oktober 1959 waren dann wieder die Stangentaxis im Frankfurter Norden unterwegs.
Offenbachs O-Bus-Netz
Einen Bus aus dieser Zeit, Fotos dokumentieren auch einen Anhänger-Betrieb, gibt es leider nicht mehr. Aber eine Leihgabe aus der Nachbarstadt hat überlebt: ein Offenbacher O-Bus von Büssing / Ludewig, Baujahr 1963.
Nummer 55, ein Solowagen mit Kiepe-Elektrik, befuhr mit seinen 19 „Kollegen“ bis 1972 ein 14,7 Kilometer langes Netz, das seit 1951 aufgebaut worden war und zuletzt aus drei Linien bestand. Nach der Abschiedsfahrt am 15. Oktober 1972 wurde er mit zwei weiteren Solo- und drei Gelenkwagen nach Kaiserslautern abgegeben, wo er bis zum dortigen Betriebsende 1985 – pikanterweise im Rat der Stadt mit Stimmen von Grünen und SPD beschlossen, die Dieseltechnik für die Zukunft hielten – weiter Dienst tat. Er kam ‘85 zurück nach Offenbach, aber mangels Gelegenheit, ihn auszustellen, ziert er heute als exotisches Unikat das Verkehrsmuseum der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF).
Blau-weiße Schönheit
Und das ist keine Übertreibung, denn Nummer 55 ist eine Schönheit in strahlend blau-weißer Offenbach-Lackierung. Außen und innen in allerbestem Zustand, denn der Bus steht seit rund 35 Jahren in einer belüfteten, trockenen Museums-Halle. Rost? Fehlanzeige. Fäulnis? Nicht zu sehen. Die heutigen Holzsitze sind originell, aber nicht original: 55 hatte grau-rote Polstersitze mit Kunstlederbezug. Ältere Offenbacher O-Busse hatten eine Bestuhlung aus Durofol-Holzschalensitzen.
Wieviel Aufwand man betreiben müßte, ihn wieder ans Netz zu bringen, läßt sich nur schwer einschätzen, denn eine Untersuchung der wichtigen Bauteile, die man nicht sofort sieht – der Teufel sitzt ja erfahrungsgemäß im Detail – hat es lange nicht gegeben.
Eine erste Inaugenscheinnahme im Museum wäre nun kein Problem, wenn die VGF noch Buslinien und somit auch eine Omnibuswerkstatt betreiben würde. Nachdem die Stadt den Beschluß faßte, den Busbetrieb europaweit auszuschreiben, tut sie das seit dem Jahrtausendwechsel aber nicht mehr.
Schwerpunkt Straßenbahn
Schon vorher konzentrierte sich die museale Energie der VGF stark auf die Schiene. So zeigt das Verkehrsmuseum des Unternehmens im Stadtteil Schwanheim eine hochkarätige Fahrzeugschau alter Straßenbahnen, inklusive einer Pferdebahn und einer Komposition der Frankfurt-Offenbacher-Trambahn-Gesellschaft von 1884. Außerdem sind neben neun Straßenbahn-Veteranen bis auf den Erlkönig „Typ U1“ alle seit 1968 eingesetzten U-Bahn-Typen mit zum Teil mehreren Fahrzeugen betriebsbereit. Sie stehen in verschiedenen und noch aktiven Depots.
VGF-Busse
Bei gummibereiften Fahrzeugen zeigte man weniger Elan: Im Museum stehen neben der Offenbacher Leihgabe mit dem Solobus 12, einem Büssing Senator von 1964, und Gelenkbus 302, einem Büssing / Duewag GBS-165-1 von 1963, der – eine Rarität – über keinen Faltenbalg, sondern ein Straßenbahn-Gelenk verfügt, nur zwei Busse. Wie Nummer 55 äußerlich in einem Top-Zustand, leider nicht fahrbereit. Fahrbereit sind dagegen zwei nicht ganz so alte Mercedes Benz-Busse: ein O 305 von 1979 und ein O 405 von 1989. Letzterer wäre nicht unbedingt erwähnenswert, wenn die Omnibus-Werkstatt daraus vor Jahren nicht einen Faschings-Bus gemacht hätte, ein Prunkstück, das zumindest deutschlandweit seines gleichen sucht. Die VGF nutzt ihn mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den traditionellen Fastnachts-Umzügen in Frankfurt und „Klaa Paris“ (außerhalb der Session als Stadtteil Heddernheim bekannt) und verschiedenen Veranstaltungen.
O-Bus-Betrieb heute
In vielen Städten ist der O-Bus nur noch Verkehrsgeschichte. Heute setzt bei manchen aber Schnappatmung ein, wenn sie das Wort „Elektromobilität“ hören. In Zusammenhang mit „Mobilitätswende“ kommt dann echte Begeisterung auf. Wobei auch in Frankfurt ausschließlich auf Batterie oder Brennstoffzelle gesetzt wird – zuletzt Ende 2020 wurden die ersten 13 Brennstoffzellen-Busse angeschafft.
Bau und Unterhaltung einer Oberleitungsanlage ist für viele Kommunen nicht attraktiv, um den Busbetrieb zu elektrifizieren. Zumal die Unterhaltung dieser Infrastruktur vielerorts zum Umstieg auf Dieselbusse geführt hat. Aber viele der eingangs genannten Städte – zumal kleinere, die über keine leistungsstarken Schienenverkehrsmittel verfügen – ärgern sich heute, zu schnell auf das Stangentaxi verzichtet zu haben. Busse auf den Innenstadt-Abschnitten am Fahrdraht Strom abnehmen und während der Fahrt Batterien aufladen zu lassen, um dann auf den Außenästen „oben ohne“ die Ziele zu erreichen, ist mehr als nur eine gute Idee. Solingens „Bob“ ist eine Innovation, die in der deutschen Verkehrsbranche viel zu wenig gewürdigt wird.
Für Frankfurt wäre „Bob“ keine Option, um Diesel- durch Elektroantrieb zu ersetzen, selbst wenn die 60 elektrifiziert geblieben wäre. Dazu braucht es wie in Solingen ein größeres Oberleitungsnetz und längere Abschnitte unter Strom. Die 60 hätte also keine Insel bleiben dürfen, Frankfurt hätte im Laufe der Jahre das O-Bus-System ausbauen müssen. Stattdessen setzte die Stadt mit den ersten Beschlüssen schon Anfang der 60er Jahre auf einen Stadtbahn-Betrieb, innerstädtisch mit unterirdischer Streckenführung. Im Oktober 1968 wurde die erste Strecke eröffnet. Danach konzentrierte man sich so sehr auf dieses System, daß es bis in die 80er Jahre sogar die Straßenbahn in Frage stellte (Stichwort: „schienenfreie Innenstadt“). Anmerkung: Wir haben hier nach einem Hinweis, siehe Kommentarfunktion, eine falsche Angabe zur Inbetriebnahme der Linie 17 zum Rebstockbad ersatzlos entfernt.
Aber fragen wir mal Städte wie Offenbach und Kaiserslautern, was die heute davon hielten, ihre Netze mit einer „Solinger Lösung“ vollständig zu elektrifizieren?
Apropos „Offenbach“: Auch dort gibt es seit Dezember 2020 wieder Elektrobusse. Die sieben Solaris Urbinos – davon ein Gelenkzug – hängen aber nicht an einer Oberleitung, sondern werden über einen Stromabnehmer über Nacht im Depot an der Hebestraße geladen. Nachladung ist an der Wendeanlage Kaiserlei während des Betriebs möglich. Weitere 29 Solaris, darunter neun Gelenkbusse, werden im Lauf des Jahres 2021 von der OVB in Dienst genommen.
Zu diesem Text und den Bildern:
Hier handelt es sich um einen für diesen Blog leicht überarbeiteten Beitrag für die Publikation des Solinger O-Busvereins „Das Stangentaxi“ vom Juni 2021. Bilder mit freundlicher und großer Unterstützung des Museumsvereins HSF in Frankfurt und unter dem Copyright „Verkehrsmuseum“.
Über die VGF:
Die VGF ist Frankfurts städtisches Verkehrsunternehmen. Auf neun U-, zehn Straßenbahnlinien und 133,52 Kilometern Betriebsstrecke beförderte sie im Jahr 2019 mehr als 202 Millionen Fahrgäste. Mehr als 2.400 Mitarbeiter sorgen mit rund 400 Schienen-Fahrzeugen für öffentliche Mobilität in einer Stadt mit 747.848 Einwohnern und mehr als 350.000 Pendlern an Werkstagen, wobei letztere Zahl wegen der Corona-Pandemie nicht mehr erreicht wird. Die VGF ist außerdem für die ortsfeste Infrastruktur zuständig, die u.a. 84 U-Bahnstationen, davon 27 unterirdisch, und 139 Straßenbahn-Haltestellen umfasst.
Über das Verkehrsmuseum Schwanheim:
Das Museum wurde am 8. Mai 1984 eröffnet und umfaßt neben der West- und der Osthalle auch die Wagenhalle an der Stadtgrenze Neu-Isenburg. Auf 2.200 Quadratmetern dokumentiert das Museum, das von einem Verein betrieben wird, aber Eigentum der VGF ist, die Geschichte des Nahverkehrs in Frankfurt und des Rhein-Main-Gebiets.
Die VGF hält eine Reihe von historischen Straßenbahnen und U-Bahnen fahrbereit, die – wenn nicht gerade eine Pandemie alles unmöglich machen würde – regelmäßig in Betrieb sind: als Nikolaus- oder Osterhasen-Express, zum Tag der Verkehrsgeschichte, zu Jubiläen, Tagen der offenen Tür oder im Anmietgeschäft. Auf einer Sonderlinie mit Fahrplan lädt außerdem der Ebbel-Ex zu einer Straßenbahn-Rundfahrt ein. Normalerweise jedenfalls.
www.hsf-ffm.de
www.ebbelwei-express.de
Über die ICB:
Busse betreibt die VGF seit rund 20 Jahren nicht mehr, weil die Stadt Frankfurt den Busbetrieb europaweit ausgeschrieben hat. Am Wettbewerb nahm mit der ICB eine Tochter der VGF teil, nach dem städtischen Beschluß, 50 % der Linien wieder zu „rekomunalisieren“ und an die ICB direkt zu vergeben, ist das Unternehmen inzwischen innerhalb der Stadtwerke-Holding eine „Schwester“ der VGF. Sie verfügt über 212 Solo- und Gelenkbusse, betreibt zusammen mit einer eigenen Tochtergesellschaft drei der fünf Frankfurter Linienbündel mit 28 Linien und beförderte 2019 rund 31 Millionen Fahrgäste.
Über den Autor:
Bernd Conrads ist Ohligser, UNION-Fan („Ach, der ist das!“) sowie Leiter der Unternehmenskommunikation und Pressesprecher der VGF.
Karl-Heinz
Gepostet am 13:55h, 15 JuniDas Fahrzeug ist mindestens so antiquiert wie die Rechtschreibung des Autors. Bei kurzem Vokal wird nicht mit „ß“, sondern mit „ss“ geschrieben. Das wurde vor 40 Jahren so gemacht, heute ist es einfach nur falsch. Ein Armutszeugnis für einen Pressesprecher / Leiter der VGF-Unternehmenskommunikation.
B Conrads
Gepostet am 14:03h, 15 JuniJa, alte Rechtschreibung. Mag man kritisieren. Heute nicht ohne persönlichen Angriff möglich.
JoDi
Gepostet am 15:38h, 15 JuniDie Line 17 zum Rebstockbad wurde 2003 eröffnet, nicht schon Anfang der 90er. Die erste eröffnete Strecke nach dem Stoppen der Schienenfreien Innenstadt, ist das Stück zwischen Konstablerwache und Börneplatz.
Bernd Conrads
Gepostet am 15:45h, 15 JuniOh, das stimmt! Stockfehler. Hätte mir gerade mit Blick auf Rebstockbad nicht unterlaufen dürfen. Ich darf das im Text ändern?
Christof Ferrlein
Gepostet am 16:35h, 24 JuniDanke für den weitgehend sachlichen Beitrag zum Thema Obus in Frankfurt, Offenbach und im Allgemeinen.
Allerdings muss ich (als Offenbacher, der selbst noch mit diesem „Exoten“ zur Schule fuhr) folgendes richtig stellen:
Der Offenbacher Obus 55 hatte schon immer grau-rote Polstersitze mit Kunstlederbezug, also nicht, wie zu lesen Holzsitze.
(Die älteren Offenbacher Obusse hatten Durofol-Holzschalensitze.)
B. Conrads
Gepostet am 16:38h, 24 JuniDanke für den Hinweis. Dieser Umstand war in keine Dokumentation nachzulesen oder zu recherchieren. Um das zu wissen, muß man Zeitzeuge sein. Ich werde die Passage gerne ergänzen.