Besuch der „alten Frankfurter“ in Polen
Im Zuge eines spontanen Ausfluges ging es für mich und einen Kumpel für knappe 2 Tage in die polnische Stadt Posen. Grund hierfür war unser Interesse an den alten Frankfurter Straßenbahnen, welche dort noch teilweise im normalen Linienbetrieb unterwegs sind.
Zunächst ein paar Facts zur Straßenbahn in Posen:
Für 20 Zloty (umgerechnet ca. 4,50 €) kann man für 48 Stunden das gesamte Netz bereisen. Neben 19 Straßenbahnlinien gibt es noch eine touristische Linie, die mit Museumswagen betrieben wird. Außerdem betreibt das Posener Verkehrsunternehmen 52 Buslinien.
Die am 30. Juli 1888 eröffnete Straßenbahn in Posen wird vom „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne w Poznaniu Sp. z.o.o. (kurz: MPK Poznan)“ – deutsch: Städtischer Verkehrsbetrieb Posen GmbH – betrieben. Derzeit umfasst das Streckennetz bei einer Linienlänge von 216 km „nur“ 65 km in Normalspur (1435 mm), auf welchem 19 Linien (inklusive einer Nachtlinie) ihren Dienst unter dem Stromsystem einer 600 V Oberleitung absolvieren. Mit einem Fuhrpark von 350 Fahrzeugen werden jährlich ca. 108 Millionen Fahrgäste bei einer Fahrleistung von gut 11 Millionen km pro Jahr befördert. In vier Betriebshöfen (auf der nachfolgenden Karte die grünen sowie das violette Rechteck) sind die Züge beheimatet; die gelben Rechtecke zeigen stillgelegte Depots. Die einheimische Bevölkerung bezeichnet ihre Straßenbahn als „Bimba“.
Geschichtlicher Überblick
Die Posener Straßenbahn wurde bis zum Ersten Weltkrieg mit deutschen Mitteln finanziert und betrieben, da die Stadt seit 1871 dem Deutschen Kaiserreich angehörte (Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Königreich Preußen). Aufgrund des Großpolnischen Aufstandes im Jahre 1918 und 1919 wurde unter großem Druck die Provinz jedoch durch den Versailler Friedensvertrag wieder Polen angeschlossen. Von 1939 – 1945 war Posen wiederum deutsch; seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehört die Stadt nun endgültig wieder zu Polen. Die Entwicklung des Nahverkehrs muss daher unter diesen wechselhaften historischen Ereignissen betrachtet werden.
Zwei deutsche Unternehmer führten – nach acht Jahren Bauzeit – 1888 die erste Pferdestraßenbahn auf zwei Strecken in Posen ein. Misserfolg: Da die damaligen 50 Wagen nur mit deutscher Sprache beschriftet waren, wurde das Straßenbahnkonzept von der einheimischen Bevölkerung boykottiert. Nach nur kurzer Zeit wurde der Betrieb von der Posener Pferde-Eisenbahngesellschaft aufgekauft, das Geschäft verbesserte sich deutlich. Nach und nach wurden mehr Linien in Betrieb genommen; die Ausdehnung des Pferdebahnnetzes betrug 37 km.
1898 wurden die ersten elektrischen Straßenbahnen in Betrieb genommen, womit die Pferdebahn sukzessiv ersetzt wurde. Die Nachfrage nach den 10 bis 20 Pfennig teuren Fahrten wurde immer größer; neue Strecken in der Innenstadt mussten die stark frequentierten Verbindungen entlasten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der damit einhergehenden fast komplett zerstörten Innenstadt, trug auch die Straßenbahn deutliche Konsequenzen: Fast alle Gleise waren schwer beschädigt, die Oberleitung entfernt sowie der nahezu gesamte Wagenpark gestohlen worden.
Es dauerte zwei Jahre, bis der normale Betrieb wieder ansatzweise aufgenommen werden konnte. Einige Strecken wurden nie wieder eröffnet, neue hingegen gebaut; bis heute ist das Streckennetz auf 65 km gewachsen.
Aktueller Fuhrpark
Posen besitzt einen sehr gemischten Wagenpark, da die Stadt einerseits viele neue und moderne Züge besitzt, andererseits weil sie sehr deutlich älteres Rollmaterial – u.a. aus Deutschland – aufgekauft hat. Nachfolgend sind einige Fahrzeugtypen zu sehen.
Weitere Fahrzeugtypen in Posen
14 fünfteilige Siemens „Combino“-Bahnen, die seit 2004 verkehren. Aufgrund diverser Probleme wurden diese vom Hersteller überarbeitet; Posen erteilte aufgrund der gesammelten Erfahrungen keinen Folgeauftrag für diesen Typ. Auch andere Städte hatten dieses Problem mit dem „Combino“.
Aus zwei alten Konstal 105N-Bahnen (s.o.) wurden sogenannte „Moderus Beta-Wagen“ gebaut. Diese erhielten 2011 bei einem aufwendigen Umbau einen Niederflur-Mittelteil; von diesen Fahrzeugen besitzt die Stadt acht an der Zahl.
Für die Inbetriebnahme der Stadtbahnstrecke in den Norden der Stadt wurden 10 Tatra RT6N1-Bahnen angeschafft. Durch eine hohe Störanfälligkeit wurden diese Fahrzeuge allerdings auf andere Linien verbannt. Um die Zuverlässigkeit zu erhöhen, wurden sie von 2012 bis 2015 umgebaut.
Aber wie bereits eingangs erwähnt: Der eigentliche Grund für unsere Reise war der Besuch der „alten Frankfurter“, die noch immer im Linienbetrieb unterwegs sind.
Wie im Blog-Artikel „Den VGF-Oldies neues Leben einhauchen“ schon erwähnt, erfüllen diese historischen Fahrzeuge die zeitgemäßen Anforderungen nicht (Barrierefreiheit, keine Platzkapazität in den Betriebshöfen etc.), weswegen sie entweder an andere Verkehrsunternehmen verkauft oder schlicht verschrottet wurden. Neue, moderne und niederflurige Straßenbahnen zogen die Konsequenz der sukzessiven Ausmusterung der Altfahrzeuge mit sich.
Ab 2001 wurden aus der Frankfurter Fahrzeugflotte 14 der sogenannten „N-Wagen“ (Einsatz in Frankfurt von 1963 – 2004) nach Posen verkauft; sechs „O-Wagen“ (Einsatz in Frankfurt von 1969 – 2005) folgten im Frühjahr 2005.
Erkennbar war, dass die Wagen nun wirklich langsam in ihren Ruhestand verabschiedet werden. Deutliche Risse im Wagenkasten, verrostete Einstiege und – auf Nachfrage – keine funktionierende Heizung. Ein sehr trister Anblick, auch wenn manch einer geglaubt hatte, dass diese Fahrzeuge nie kaputtgehen würden. Wie lange die Fahrzeuge aus der Mainmetropole noch in Polen unterwegs sein werden, konnte uns jedoch niemand beantworten. Aber so viel steht fest: Wer noch einmal selbst in den Genuss kommen will, sollte nicht allzu lange warten.
Auf der Linie 3 werden mehrere O-Wagen eingesetzt; es handelt sich allerdings um Verstärkungslinie, die von montags bis freitags verkehrt und keinen eigenen Streckenast hat: Sie teilt sich nahezu alle Teilstrecken mit anderen Linien (wie bei uns die Linie 19).
Sonstiges / Besonderheiten
Wie bereits erwähnt, ist das Posener Streckennetz 65 km lang, was bei einer Linienlänge von über 200 km zunächst sehr ungewöhnlich ist. Die Begründung liegt in der Anzahl der Linien, welche stolze 19 beträgt. Anhand des obigen Liniennetzes lässt sich erkennen, dass dieses gar nicht die Masse an Verzweigungen hergibt, weswegen ein Großteil der Endhaltstellen mindestens diejenigen von drei oder mehr Linien sind.
Neben den N- und O-Wagen wurden auch M-Wagen nach Posen verkauft. Diese sind allerdings nicht mehr im normalen Linienbetrieb unterwegs. Zwei erhalten gebliebene Fahrzeuge dieser Baureihe dienen noch als Arbeitswagen. Einen der beiden haben wir tatsächlich vor die Linse bekommen, wenn auch nur „hinter den Kulissen“ im Betriebshof.
Eine weitere Besonderheit ist die 6,1 km lange Stadtbahnstrecke zur „Siedlung Jana III Sobieskiego“ in den Norden der Stadt, da die Stadt schon in früheren Jahren eine schnelle Verbindung zwischen der Vorstadt und der Innenstadt herstellen wollte. Heute fahren sechs Linien auf dieser Strecke, die komplett kreuzungsfrei und auf eigenem Gleiskörper verläuft. Auch die Nachtlinie benutzt diese. Derzeit wird eine Verlängerung der Stadtbahnstrecke gebaut; sie soll einen straßenbündigen Abschnitt ersetzen und durch eine Linienführung längs des Einschnitts der Eisenbahn bis zum Hauptbahnhof führen (auf dem zu Beginn gezeigten Netzplan die rote Strecke).
Diverse andere Neubaustrecken sind ebenfalls schon in Arbeit; es ist also festzuhalten, dass die bestehenden 65 km Streckenlänge ständig wachsen, um die steigende Nachfrage zu bedienen.
Fazit
Posen ist definitiv eine Reise wert. Von Frankfurt am Main fährt man gute sieben Stunden bis „Poznan Glowny“. Abgesehen vom Schienenverkehr bietet die Stadt tolle Möglichkeiten für Touristen, u.a. das Altstadtzentrum, in welchem man viel über die historischen Ereignisse – insbesondere über den 2. Weltkrieges – erfahren kann.
Wer allerdings ausschließlich wegen den Ex-Frankfurtern ins Nachbarland reisen sollte, der sollte sich nicht mehr allzu lange Zeit lassen, da die Fahrzeuge vermutlich schon sehr bald außer Dienst gestellt werden.
Laut Internetseite des Verkehrsunternehmens verkehrt die Linie 3 vom 1. Juli bis zum 31. August nicht. Einen Frankfurter in dieser Zeit anzutreffen dürfte sich also als sehr schwierig erweisen, ebenso an Wochenenden, da wie schon erwähnt die genannte Linie nur unter der Woche als Verstärkungslinie aus Posens Gleisen unterwegs ist. Dennoch bekommt man auch in den Bahnen aus Düsseldorf das „alte Feeling“ des Straßenbahnfahrens zu spüren; diese sind noch größtenteils auf fast allen Linien unterwegs.
Unsere Nächste Station lautet: Kattowitz! Dort gibt es nämlich unsere ehemaligen P-Wagen zu sehen.
Über den Autor:
Sascha Gerbl, 19 Jahre alt, ist Auszubildender als Kaufmann für Verkehrsservice im ersten Lehrjahr bei der VGF. Schon seit Kindergartenalter interessiert er sich für den Schienenverkehr, insbesondere für die Straßen- und U-Bahnen der VGF. Den Verkauf der alten Straßenbahnen aus seiner Heimatstadt nahm er zum Anlass, einmal selbst in deren neue Heimat zu reisen.
Rudolph
Gepostet am 22:04h, 25 MaiDanke für den schönen Beitrag!
Jürgen H. aus F.
Gepostet am 22:35h, 25 MaiSehr interessant! Wann kommt der Bericht über die P-Wagen in Posen?
Sascha Gerbl
Gepostet am 12:24h, 26 MaiVielen Dank!
In Posen fahren keine P-Wagen, sondern in der etwa 400 km entfernten Stadt Kattowitz. Ein genaues Datum für diese zweite Reise dorthin haben wir noch nicht, wollen dies aber spätestens nächstes Jahr machen. Der Bericht folgt dann; bitte noch ein wenig Geduld 😉
Peter Wirth
Gepostet am 22:52h, 25 MaiTolle Bilder und sehr informativer Bericht, besonders wenn man(n) sich für den Schienenverkehr interessiert.
Udo Mack
Gepostet am 09:20h, 30 MaiEin sehr schön recherchierter Artikel in einer angenehm lebendigen Sprache, der auch gut in einer Fachzeitschrift stehen könnte. Vielen Dank dafür und weiter so!