Schwerst- und Millimeter-Arbeit
U-Bahn-Station „Miquel-/Adickesallee“. Hier fahren in den Sommerferien keine Bahnen. Auf dem Bahnsteig, wo sonst Fahrgäste auf U1, U2, U3 oder U8 warten, ist Baumaterial gelagert, im Gleis Richtung Hauptwache stehen Arbeitswagen mit Ladung, Werkzeug und Gerät.
Im Tunnel Richtung Dornbusch sind künstliche Strahler angebracht, die mit ihrem Licht den Weg zur Gleisbaustelle weisen. Hier, kurz hinter der Station, liegt ein Gleiswechsel, der dazu dient, Züge vom einen auf das andere Gleis zu fahren und so im Störfall vorzeitig zu wenden. Vier Weichen und eine Gleiskreuzung verbinden das stadteinwärtige und das stadtauswärtige Gleis – alles muss raus. Grund: die Weichen haben das Ende ihrer technischen Lebensdauer erreicht. Rund 15 Jahre können sie auf einer vielbefahrenen Strecke liegen bleiben und funktionieren – kleine Reparaturen und Ausbesserungen im Lauf der Zeit eingeschlossen –, dann steht der Ersatz an. Grund ist der Verschleiß: vier Linien mit einer kurzen Taktung, das ganze sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr – das hält die beste Weiche nicht ewig durch. Und bevor sich deswegen Störungen häufen und den Betrieb behindern, muss die VGF handeln.
Genau das tut sie und das ist einer der Gründe, warum die wichtigste Nord-Süd-Verbindung der Stadt seit zwei Wochen und noch bis 12. August gesperrt ist. Die Arbeiten laufen auf Hochtouren. Den Wechsel von zehn Weichen im Tunnel hat sich die VGF für die Sommerbaustelle auf der „A-Strecke“ vorgenommen. „A-Strecke“, weil der im Oktober 1968 eröffnete Abschnitt zwischen Hauptwache und Nordweststadt (heute Nordwestzentrum) der älteste im Frankfurter U-Bahnsystem ist.
Sechs Weichen hat die VGF und die von ihr beauftragte Gleisbaufirma Josef Hell aus Bad Kissingen schon gewechselt: vier am Willy-Brandt-Platz, auch hier ein Gleiswechsel, zwei am Eschenheimer Tor an der Verbindung zur Wendeanlage. Alles im Zeitrahmen. Rund 822.000 € kosten diese zehn Weichen, davon entfallen 522.000 € auf das Material, die restlichen 300.000 € auf die Arbeiten. In der Summe nicht enthalten sind die sieben Weichen, die die VGF Ende Juli in Heddernheim wechselt. Sie schließen den Betriebshof an die Stammstrecke an und müssen aus demselben Grund angefasst werden: Abnutzung und Verschleiß. Aber das ist ein anderes Teilprojekt der Sommerbaustelle.
Ausgeklügelte Logistik
Gleisbau dieser Art ist für alle Beteiligten eine besondere Herausforderung. Das beginnt mit der Logistik: alle Teile der neuen Weiche müssen auf die Baustelle gebracht, die ausgebauten Altteile müssen abtransportiert werden, das Ganze auf engstem Raum – ein Gleis ist immer die Ablagefläche für das schwere Material, auf dem anderen fahren die Züge – und ohne sich gegenseitig zu behindern. Die Fahrten der Arbeitszüge, die nachts in der Infrastruktur-Werkstatt (ZWI) an der Hanauer Landstraße starten und über den Marbachweg auf die „A-Strecke“ führen, finden zwischen 0 und 6 Uhr statt, tagsüber und abends wird dann das angelieferte Material – in diesem Fall die in Einzelteile zerlegten Weichen – verarbeitet.
Aus- und Einbau
Die Arbeiten, die vom VGF-Fachbereich „Fahrweg“ geplant, koordiniert und überwacht werden, beginnen mit der Demontage der alten Weichen. Sie liegen auf Holzschwellen im Gleisbett und sind mit acht Schrauben pro Schwelle an derselben befestigt. Alle 60 Zentimeter liegt so eine Schwelle. Auf zehn Metern Gleislänge liegen rund 17 Schwellen, macht rund 136 Schrauben, die gelöst werden müssen – zwar mit einer Bohrmaschine, aber letztlich händisch und in gebückter Haltung. Bei Weichen muss natürlich auch der Antrieb und die ganze Elektronik abgetrennt werden, bevor die Einzelteile ausgebaut werden können. Zwar steht ein Bagger zur Verfügung, denn die einzelnen Weichenteile wiegen zwischen einer und fünf Tonnen, doch die Arbeit der Gleisbauer bleibt ein Knochen-Job. Und Schwerst- verbindet sich mit Maßarbeit, sobald die neuen Weichenteile eingebaut werden. Damit alles passt und der Betrieb nach Abschluss der Arbeiten reibungslos läuft, bewegen sich die Arbeiter im Millimeterbereich – und das bei einer fünf Tonnen schweren Gleiskreuzung. Der Polier von Josef Hell, Julian Schraut, umschreibt das so: „Gleisbau ist Millimeter-Arbeit mit schweren Teilen und groben Mitteln.“ Mit Grobschlächtigkeit, mit der man vielleicht den Begriff „Gleisbau“ verbindet, hat das nichts zu tun.
Eingespielte Spezialfirma
Der Ein- und Zusammenbau der neuen Weiche erfolgt im Tunnel auf den alten Holzschwellen, denn die sind, wenn sie untertage liegen, nahezu „unkaputtbar“, da sie bei konstanter Temperatur keinen Wetterkapriolen ausgesetzt sind, die bei ihren oberirdischen „Kollegen“ die Lebensdauer auf 20 bis 25 Jahre beschränken. In Heddernheim, wo kommende Woche der oberirdische Gleisbau ansteht, werden folglich auch die Schwellen ersetzt. Genauso beim gerade laufenden Gleisbau zwischen den Stationen „Heddernheim“ und „Weißer Stein“, bei dem auf der Maybachbrücke auf rund 750 Metern Länge neue Gleise, Schwellen und Schotter eingebaut werden.
Die Geräuschkulisse im Tunnel passt zu den Arbeiten, die hier gerade anstehen. Die Bohrer sind akustisch allgegenwärtig, zwischendurch fährt einer der Bagger vorsichtig an die Stelle heran, in der gerade im Schotterbett eine Lücke klafft, weil Teile der alten Weiche schon demontiert und abtransportiert wurden. Die Handgriffe sind routiniert, die Firma Josef Hell ist ein Spezialunternehmen, dessen Mitarbeiter wissen, was sie tun. Und mit dem die VGF über Jahre mehrfach sehr gut zusammenarbeitet hat, wie der VGF-Projektleiter Falk Ludwig, der die Verantwortung trägt, betont.
All diese Arbeiten bedenkend, sind so viele Menschen auf der Baustelle gar nicht beschäftigt: sechs Facharbeiter, zwei Poliere und ein Baggerfahrer sind pro Schicht am Werk, zusätzliches Personal würde wegen der engen Platzverhältnisse auch nicht mehr leisten können oder gar schneller sein.
Probefahrten Ende Juli
Im Moment, also Ende der zweiten Juli-Woche, werden die ersten neuen Weichen Stück für Stück auf den alten Schwellen aufgebaut, in der kommenden Woche beginnen die Schweißarbeiten. Für den 27. Juli ist die Kontrolle der neuen Weichen geplant, am 28. Juli werden alle im Tunnel bearbeiteten Gleisstellen mit einem Drei-Wagen-Zug überfahren und auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft. Erst unter dieser Voraussetzung und einer erfolgreichen Abnahme ist eine Inbetriebnahme am Ende der Sommerferien möglich. Wobei klar wird: Der Gleisbau, der nur ein Teil der Arbeiten an der „A-Strecke“ ist, soll schon nach vier Wochen abgeschlossen sein. Die übrigen Arbeiten werden aber noch bis 12. August dauern, eine vorzeitige Inbetriebnahme war und ist nicht vorgesehen, auch wenn das mal eine feine Sache wäre.
Arbeiten „in einem Rutsch“
In der Vergangenheit hat die VGF verschiedene Modernisierungen oder Instandhaltungen an ein und derselben Strecke nacheinander abgearbeitet. Das bedeutete, dass solche Strecken mehrfach nacheinander wegen unterschiedlicher Arbeiten an verschiedenen Stellen gesperrt wurden. Beispiel: die Tramstrecke nach Höchst, die 2016 erst wegen Arbeiten am Hauptbahnhof, später wegen Gleisbaus im Gallus außer Betrieb genommen wurde – mit jeweils großem Schienenersatzverkehr und Behinderungen für die Fahrgäste. Das hat dann bei denen die Frage aufgeworfen, warum die VGF „nicht alles auf einen Schlag“ machen würde?
Daher nun ein anderer Ansatz: Bündelung diverser Arbeiten in eine längere und weiträumigere Sperrung mit größerem Ersatzverkehr. Zu den jetzt an der „A-Strecke“ ausgeführten Arbeiten zählen Gleis- und Weichenbau auf dem oberirdischen und dem Tunnelabschnitt, neue Gleise auf rd. 750 Metern Länge in Eschersheim, wobei mehr als 2.000 Tonnen Schotter bewegt werden, die Sanierung von fünf Überwegen, Erneuerung der Oberleitung auf neun Kilometer Länge, Erneuerung des Korrosionsschutzes von 83 Oberleitungsmasten – einige müssen nach genauer Inspektion ganz ersetzt werden –, der Einbau von zwei Rolltreppen in der Station „Südbahnhof“, die Ausbesserung kleinerer Betonschäden an den Bauwerken, Brandschutz-Ertüchtigung an der Station „Willy-Brandt-Platz, der Einbau neuer Funk- und anderer Kabel im Tunnel – immerhin 18 Kilometer Kabel, für die 24.000 Halterungen an den Tunnelwänden angebracht werden müssen –, Reprofilierung (Schleifen) von Gleisen auf zwölf Kilometer Streckenlänge.
Laufen die Arbeiten weiterhin reibungslos, werden die vier U-Bahnlinien zum Ende der Sommerferien wieder fahren. Sieht der Fahrgast dann etwas von den Arbeiten? Nicht viel, um ehrlich sein: Die Weichen in Heddernheim liegen abseits von Straßen oder Bürgersteigen, über die neuen Weichen im Tunnel fahren die Züge drüber, die Kabel an den Tunnelwänden sind auch nicht gerade auffällig, dasselbe gilt für den neuen Fahrdraht, dessen frisch glänzender Kupfer nur bei ganz genauem Hingucken zu sehen ist. Vielleicht wird dem einen oder anderen der neue Anstrich der 83 Oberleitungsmasten auffallen. Und natürlich die Grundreinigung der acht Stationen, die mit der Sommerbaustelle verbunden ist. Doch deren Effekt könnte im Betrieb auch schnell wieder verblassen.
„Schaustelle Heddernheim“
Aber was zu sehen sein wird: der erwähnte Gleisbau in Heddernheim. Am
Freitag, 19. Juli 2019, in der Zeit von 10 bis 16 Uhr
präsentiert die VGF die „Schaustelle Heddernheim“. Besucher und Interessierte können vom Betriebshofgelände aus die in unmittelbarer Nähe stattfindenden Gleis- und Weichenarbeiten beobachten und sich von Vertretern des Fachbereichs „Fahrweg“ fachkundig erläutern lassen. Der Eintritt über den H.-P.-Müller-Platz ist frei, für kleine Stärkungen und Erfrischungen sorgt die VGF.
Henning H.
Gepostet am 16:56h, 17 JuliEine Frage zu Schwellen im Tunnel – können moderne Betonschwellen überhaupt auf Tunnelstrecken verwendet werden? Habe mal die Augen aufgehalten und sowohl in Frankfurt als auch in anderen Städten ausschließlich Holzschwellen (ein Grund dafür wurde im Beitrag genannt) oder Feste Fahrbahn gesehen. Selbst auf „neuen“ Strecken wie der D-Strecke an Festahlle/Messe und Bockenheimer Warte – ausschließlich Holzschwellen oder Feste Fahrbahn, jedoch nirgendwo Betonschwellen wie sie bei Neubau oberirdisch verbaut werden…
Bernd Conrads
Gepostet am 09:16h, 24 JuliBei Neubaustrecken wird immer die feste Fahrbahn bevorzugt. Ist zwar teurer, aber gleichzeitig die beste Art des Oberbaus, was Genauigkeit, Haltbarkeit, Folgekosten, Wartungsaufwand betrifft.
Auf Bestandsstrecken mit Holzschwellen können in der Regel keine Betonschwellen als Ersatz eingebaut werden, da sie eine dickere Schotterschicht benötigen. Sie sind nämlich höher als Holzschwellen. Auch das „Handling“ im Tunnel ist mit den schwereren Betonschwellen wesentlich schwieriger, weshalb diese Schwellen unterirdisch nicht verwendet werden. Und wie im Text erwähnt: Im Tunnel verrotten Holzwschwellen so gut wie gar nicht. *bec..