Baustelle in der Stadt mit zwei Baggern.

Schwebender Beton

Es ist nicht so, daß auf der Baustelle Stillstand herrschen würde. Südlich der Musterschule werden die Steinplatten des Gehwegs verlegt, direkt vor dem Gebäude sind Radlader und ein Saugbagger beim Ausschachten, Kipper transportieren Aushub ab. Auch ein paar Hundert Meter weiter oben, in Höhe der Station „Glauburgstraße“, wird geschafft. Aber die wichtigsten Arbeiten, die für diesen sonnigen Frühsommertag im Juni vorgesehen sind, ruhen. Vorerst. Unfreiwillig.

Pünktlich um 8 Uhr haben sie begonnen, zu diesem Zeitpunkt bahnt sich ein sechsachsiger Sattelschlepper rückwärts den Weg vom Anlagenring zum Oberweg, die enge Logistikspur läßt zum Teil an den Seiten nur wenige Zentimeter Platz. In Höhe der ehemaligen Station „Musterschule“ muß der Laie annehmen, daß es nicht weitergehen wird, denn der Lkw muß in einer engen Rechts-Links-Kombination – auf dem Nürburgring hätte man es wohl „Schikane“ genannt – auf die von hier an auf der anderen Seite der Eckenheimer Landstraße verlaufende Spur wechseln. Fährt er sich fest? Von wegen: die drei Achsen des langen Aufliegers sind lenkbar – und damit ist das fast 30 Meter lange Fahrzeug erstaunlich beweglich. Außerdem verfügt der Fahrer über 15 Jahre Erfahrung am Steuer, die sind in solchen Momenten und unter diesen Bedingungen durch nichts zu ersetzen. Keine fünf Minuten später steht er vor dem Spezialkran, der in Höhe der Rappstraße auf die Ladung wartet: die am Ende 75 Meter lange Bahnsteigkantensteine für die stadteinwärtige Station „Musterschule“, die am 20. und 21. Juni gesetzt werden sollen.

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Präzisionsschwerarbeit

Bis zu 40 Tonnen kann der Kran der Firma Eisele bewältigen, die Kantensteine, zwischen 3,50 und fünf Meter lang, wiegen bis zu sechs Tonnen. Fünf Elemente hat der Sattelschlepper geladen, kaum steht er, geht alles Hand in Hand und blitzschnell. Bauarbeiter lösen die Vertäuung der Ladung und noch während der Lkw-Fahrer Spanngurte und andere Ausrüstung wieder verstaut, haken Arbeiter die Ketten des Krans in die dafür vorgesehen Ösen der Betonfertigteile und wird der erste Block wie von Geisterhand vom Sattelschlepper gehoben.

Das mit der Geisterhand ist dabei ein gar nicht mal falsches Bild, denn so schwer die Arbeit und die Last auch sein mögen, viel Lärm machen sie nicht – das Geräusch des Krans jedenfalls bleibt deutlich unter den Lärmemissionen, die sonst auf der Eckenheimer Landstraße der Straßenverkehr verursacht, der Motor des schweren DAF-Lkw ist ohnehin abgeschaltet.

An seine künftige Stelle wird das Fertigteil mit dem Kran gehievt, dirigiert von einem halben Dutzend Arbeiter der Firma Hering. Das muß passen. Wenn die Ketten einmal gelöst sind, und der Block nicht richtig liegen würde, kann von Hand nicht nachjustiert werden. Wichtig ist vor allem die Höhe, denn die der Bahnsteigkantenlänge nach gesetzten Steine müssen millimetergenau gleich hoch sein. Im Hightech-Zeitalter, in dem vermeintlich nichts ohne Computer geht, schlägt hier die Stunde der guten alten Wasserwaage. Auch der Abstand zu dem vorher gesetzten Element muß passen: 1,5 Zentimeter, die später verfugt werden.

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Bastions-Bauweise

Um kurz nach 9 Uhr – und damit viel schneller als geplant – stehen die ersten fünf Elemente an ihrem Platz und lassen den zukünftigen Bahnsteigverlauf erkennen. An der Kante sind auch schon die kreisrunden gelben Markierungen zu sehen, die künftig die Bahnsteigabschnitte kenntlich machen sollen, an denen zum Fahrzeug eine Stufe bleibt. Denn: durch die so genannte Bastions-Bauweise ist der Bahnsteig nur im Mittelteil rund 80 Zentimeter hoch. Damit hält nur ein Wagen jedes Zugs an diesem barrierefreien Teil des Bahnsteigs – und leider fährt der nicht immer an derselben Position im Zugverband. Im Weiteren wird es für die VGF darum gehen, diese in Frankfurt ungewohnte Situation – in Fahrtrichtung Süd hält der erste Wagen am hohen Bahnsteig-Segment, in nördlicher Richtung wird es der zweite Wagen sein – den Fahrgästen so zu vermitteln, daß es nicht zu Überraschungen kommt. Die Bastions-Bauweise wurde gewählt, um die insgesamt vier Bahnsteige in der engen Eckenheimer Landstraße nicht zu massiv und wuchtig erscheinen zu lassen und ihnen so die befürchtete Stadtteiltrennende Wirkung zu nehmen.

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Nicht alles ist planbar

So zügig es angefangen hat, so schnell könnte es weitergehen. Tut‘s aber nicht: Der zweite Sattelschlepper – insgesamt sind für den ersten Tag vier Lieferungen geplant – läßt auf sich warten. Die Betonteile wurden im Werk der Firma Hering in Burbach gefertigt und schon am Wochenende auf die Auflieger verladen. Am Montag kommen sie mit den laubfroschgrünen Zugmaschinen der Spedition Dornseiff aus Burbach-Würgendorf („So viel Kraft muß sein“) direkt über die A5 nach Frankfurt – und Lkw Nummer 2 steht am Gambacher Kreuz im Stau. Deshalb geschieht zunächst – nichts. Nach fast einer Stunde Warten, in der Kaffeebecher geleert werden – diese kreisrunden gelben Markierungen auf der Kante machen sich auch als Untersetzer gut –, Müttern die Kinderwagen über den geschotterten Durchgang am Oberweg getragen, Anekdoten früherer Baustellen erzählt und diverse Telefonate mit dem vermißten Lkw-Fahrer geführt werden, ist klar: der Stau war nicht das einzige Problem, der Mann hat sich in Frankfurt verfahren, irgendwo zwischen Abfahrt A5 und dem Nordend.

Während der Wartezeit hat sich der Kran in eine neue Position gebracht, knapp 15 Meter die „Eckenheimer“ rauf. Gegen 10 Uhr 20 geht es schließlich weiter: Eskortiert von zwei Sicherungsposten tastet sich der zweite Sattelschlepper vom Anlagenring die Logistikspur nach oben. Bauarbeiter fahren ihre Bagger an die Seite, offene Kanaldeckel werden geschlossen, Baken und Absperrungen zur Seite geräumt, denn insbesondere die „Schikane“ verspricht wieder interessant zu werden: Im Gegensatz zum ersten Lkw hat dieser Auflieger drei Starrachsen und ist damit nicht so wendig. Trotzdem – und einigen Radfahrern, die Baustellen, Durchfahrverbote oder Hinweise der Arbeiter für pittoreske Folklore halten und ihr eigenes Durchkommen irgendwie erzwingen wollen zum Trotz – braucht der Fahrer nur 15 Minuten, um seinen Zug so zu positionieren, daß der Kran erneut abladen kann.

„Na? Kleine Irrfahrt durch Frankfurt gemacht?“, begrüßt ihn der angesichts des Zeitplans noch immer entspannte Polier der Firma Hering, der die Arbeiten leitet. Doch der Trucker kann nicht so recht darüber lachen. Mit einem genervten „Ist das ein Rumgegurke hier in der Stadt“ dürfte er manchem Frankfurter aus der Seele gesprochen haben. Ob er ein „Navi“ an Bord hatte, wird nicht weiter diskutiert. Zumal das Internet voll von Bildern ist, die zeigen, was passieren kann, wenn sich Lkw-Fahrer stump auf die Navigationshilfe verlassen. Stichwort: „Steht ein Sattelschlepper im Weinberg“.

Vier Fertigteile kommen mit seiner Fuhre an, unter anderem das Segment, mit dem eine der flachen Seiten zum höheren Mittelteil ansteigt. Die Arbeiter in Warnwesten und mit Helmen dirigieren das tonnenschwere Element auf seine Position, der Kranführer folgt penibel ihren Anweisungen, ein kurzes Ausmessen und Kontrollieren, schon steht das sechste Betonteil. Jetzt ist nicht nur die Lage des künftigen Bahnsteigs in der Straße zu erkennen, sondern zum ersten Mal auch die genannte Bastions-Bauweise, die in Frankfurt bisher nicht üblich ist.

Mit den übrigen Teilen wird genauso verfahren. Die Arbeiten sind routiniert, trotz meterlanger und tonnenschwerer Elemente präzise und sie werden mit großer Umsicht ausgeführt. Denn wenn es auch unwahrscheinlich ist, daß die Haken und Ketten, an denen der Kran die Elemente trägt, nachgeben, so ist ein bis zu sechs Tonnen schwerer Betonklotz, der scheinbar schwerelos in der Luft schwebt, potentiell gefährlich. Jeder noch so kleine Fehler, jede noch so geringe Unaufmerksamkeit kann Folgen haben – gequetschte Finger sind da noch das geringste Problem.

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Rückblick

Auf der Baustelle entlang der Eckenheimer Straße ist seit Beginn der Arbeit kurz nach Ostern viel passiert. Nicht nur wurde an der Station „Musterschule“, wie beschrieben, die Bahnsteigvorderkante Richtung Innenstadt gesetzt, die Erdarbeiten für die Herstellung des Fundaments für die Kante in die andere Richtung sind ebenfalls abgeschlossen. Der Erdbau für die Verlegung der Gleise zwischen Eschenheimer Anlage und Koselstraße ist zum großen Teil erfolgt, das westliche Gleis zwischen Jahnstraße und Musterschule liegt. Im östlichen Bereich – zwischen Jahnstraße und Oberweg – wurden neue Versorgungsleitungen verlegt und angeschlossen, einzelne Fahrleitungsmaste wurden neu gegründet und gestellt. Und last but not least: Der Belag des Gehwegs zwischen Jahnstraße und Mittelweg ist fertiggestellt.

Weiter nördlich, an der Station „Glauburgstraße“, ist der Erdbau für die Verlegung der Gleise zwischen Bauanfang und Gleisdreieck Glauburgstraße ebenfalls erfolgt, auch das Gleis wurde in diesem Abschnitt verlegt. Bis zur Hansteinstraße wurden Asphaltarbeiten abgeschlossen, auch hier wurden teilweise schon Maste der Fahrleitung aufgestellt. Die Arbeiten an den Bahnsteigkanten dieser Station sind im Gang: stadtauswärts stehen die Kantensteine, stadteinwärts finden gerade die vorbereitenden Arbeiten statt.

Ausblick

Und es geht weiter. Im südlichen Baufeld werden demnächst die Gleisbauarbeiten zwischen Musterschule und Bauende weiter gehen, ebenso die Arbeiten an der Fahrleitungsanlage. Nach dem Setzen der Vorderkante in stadtauswärtiger Richtung beginnt an beiden Bahnsteigen der Stationsausbau und auf den Gehwegen gehen die Pflasterarbeiten weiter.

An der Glauburgstraße sind Asphaltarbeiten bis zum Knotenpunkt Glauburgstraße vorgesehen, außerdem die Herstellung der Bahnsteigvorderkante stadteinwärts. Auch hier steht danach der eigentliche Stationsausbau auf dem Programm. Es beginnen alsbald die Arbeiten an den Geh- und Radwegflächen. Und, ganz wichtig: der Einbau des neuen Gleisdreiecks Glauburgstraße steht auf dem Programm, mit dem – die VGF hat das vor Ostern angekündigt – von 4. Juli an eine rund dreiwöchige Vollsperrung der Kreuzung verbunden ist.

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Beliebtes „Bagger-Spotting“

An diesen abgeschlossenen oder bevorstehenden Arbeiten sind diverse Firmen beteiligt, ihr Gelingen wäre und ist nicht ohne eine akkurate Baustellen-Koordination möglich, die sich vielleicht nicht immer auf den ersten Blick erschließt – angesichts des einstündigen Stillstands wegen eines verirrten Lkw mag im Gegenteil mancher auf die Idee kommen „Typisch, auf der Baustelle passiert mal wieder nichts!“. Damit läge er falsch.

Wie auf einer Großbaustelle die Rädchen ineinander greifen, wird aufmerksam beäugt, sei es von Anwohnern im zweiten oder dritten Stock ihrer Häuser an der „Eckenheimer“, vor deren Balkon plötzlich ein Betonteil vorbei schwebt, oder von Passanten, die stehen bleiben, um den ungewöhnlichen Arbeiten zu zusehen. Kameras liegen bereit, Handys werden gezückt – „Bagger- oder Kran-Spotting“ ist eben nicht nur bei Kindern äußerst beliebt.

Staus oder ein falsches Abbiegen blieben am ersten Tag der Arbeiten am neuen Bahnsteig die einzigen Unwägbarkeiten, den Zeitplan konnten sie nicht durcheinander bringen. Im Gegenteil: Die Arbeiten waren von 8 bis 19 Uhr angesetzt, am ersten Tag steht die Bahnsteigkante, die nun erstmals einen regelrecht geschwungenen Verlauf mit dem höheren Mittelteil sehen läßt, schon vor 16 Uhr. Die weiteren Arbeiten folgen am stadtauswärtigen Bahnsteig eine Woche später.

Bernd Conrads
B.Conrads@vgf-ffm.de
1 Kommentar
  • Mathiad
    Gepostet am 10:14h, 02 Juli Antworten

    Vielen Dank für den Einblick in den Fortschritt des Umbaus dieser U5-Haltestellen. Als früherer intensiver Nutzer der U5 bis zur Endhaltestelle Preungesheim habe ich Verständnis für den Umbau, sehe aber auch die ‚Umerziehungswirkung‘ der langwierigen Ausfälle der U5 seit ein paar Jahren. Damit will ich sagen dass ich und viele meiner Bekannten es uns angewöhnt haben, nunmehr mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Es wird eine ganze Weile dauern bis sich diese, durch wiederholte lange Unterbrechungen der U5 hervorgebrachte Verhaltensänderung, wieder rückgängig machen lässt. Sollte sich die VGF über den Aspekt der Kundenrückgewinnung noch keine Gedanken gemacht haben, wird es dafür höchste Zeit!

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