Bahn fährt durch einen beschneiten Wald

Der Winter naht

Frage an „Radio Eriwan“: Von wann bis wann dauert der Winter? Im Prinzip unterschiedlich. Bei der Bundeswehr ist Winter, wenn der Vorgesetzte ihn befiehlt. Und bei der VGF? Da dauert er vom 1. November bis 30. April. So lange ist unsere Geschäftsanweisung „Winterdienst“ in Kraft, die die Aktivitäten unterschiedlicher Fachbereiche des Unternehmens regelt, damit U- und Straßenbahnen auch in der zuweilen kritischen Jahreszeit fahren.

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Fiese Tricks

Das ist keineswegs selbstverständlich, denn „Väterchen Frost“ hat ein paar fiese Tricks auf Lager, um U-Bahnen auf oberirdischen Abschnitten und Straßenbahnen lahm zu legen. Und zwar, wenn‘s hart auf hart kommt, ganz schön lange. Eingeschneite Schienen, verstopfte Weichen, vereiste Oberleitungen, durch Eis- oder Schneelast abgebrochene Äste oder umgestürzte Bäume, die im Fahrdraht hängen oder ihn gleich ganz abreißen. Besonders die schönen Streckenabschnitte durch die Wälder sind im Winter dafür anfällig: egal ob die Linie 17 nach Neu-Isenburg, die 12 nach Schwanheim oder die U3 Richtung Hohemark. Vorsorgen läßt sich kaum, schließlich wollen wir keine 100-Meter-Schneise rund um die Bahntrasse durch den Stadtwald schlagen. Man ließe uns wohl auch nicht.

Das sind die offensichtlichsten Winterüberraschungen, aber außer dem Fahrweg – also die Schienen und Weichen – und der Fahrstromtechnik – der Oberleitung – können auch anderen Einrichtungen betroffen sein: so die Systemtechnik, Haltestellen und Gebäude, die verschiedenen Stadtbahn-Werkstätten und das Betriebsmanagement. Oder der Kundendienst mit seinem Ordnungsdienst und anderem Personal.

Die VGF hat einen erfahrenen Mitarbeiter als „Winterdienstverantwortlichen“ – nebst Stellvertreter – festgelegt, bei dem alle Fäden zusammen laufen. So koordiniert er die Zusammenarbeit von Betriebsleitstelle, bei der Störungen des U- und Straßenbahnbetriebs zuerst auflaufen, mit den technischen Bereichen, die für die Schadensbehebung und mithin Störungsbeseitigung zuständig sind. Er hält Kontakt zu unserer eigenen Sicherheits- und Service-Zentrale, zur Einsatzzentrale der FES und ihrer Tochter FFR, die auf Straßen, Bahnsteigen und an Haltestellen Schnee räumen.

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Zu den Bürozeiten von Montag bis Freitag von 7 bis 15 Uhr 30 liegt diese Aufgabe im Fachbereich „Fahrweg“, außerhalb dieser Zeiten beim diensthabenden Meister oder Techniker, dessen Rufbereitschaft durch einen speziellen Dienstplan auch nachts und am Wochenende geregelt wird. Intern ist eine Mobilfunknummer geschaltet, die als „Winterdienst-Hotline“ 24 Stunden lang erreichbar ist.

Der „SchneeschieBÄR“

Schienenwege erfordern besondere Aufmerksamkeit und eine spezielle Art von Winterdienst. So haben das Winterfahrzeug Nr. 2050 im Einsatz, ein rund 40 Jahre alter „Pt“-Wagen, der inzwischen seine vierte Karriere macht: zuerst Linien-Fahrzeug auf der Straßenbahn, dann U-Bahn, dann Fahrschulwagen und jetzt winterliches Multifunktions-Fahrzeug. Dank der auffälligen Beklebung an den beiden Fahrerständen trägt der 2050 den Spitznamen „SchneeschieBÄR“ – was doch gleich viel besser klingt.

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Der Wagen verfügt nicht nur über zwei Schneepflüge für die Gleise unter dem Fahrzeug, sondern auch eine Frostschutz-Benetzungsanlage für die Oberleitung auf dem Dach. Erstmals fuhr er am 21. November 2015, um die Oberleitungen mit einer Glycerin-Lösung zu versiegeln, die ein Einfrieren verhindert. Im Januar 2013 war genau das geschehen: „Blitzeis“ hatte einen Mantel um die Oberleitungen entstehen lassen, der sich wegen des anhaltenden Frosts nicht zurück bildete und nur auf der U-Bahn dank des kurzen Takts der Bahnen regelrecht abgefahren wurde. Während alle neun U-Bahnlinien nach Plan unterwegs waren, verhinderte der teilweise zentimeterdicke Panzer die Stromabnahme durch die Straßenbahnen, die Folge war ein ungewöhnlich langer Stillstand auf den Tram-Linien.

 

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Um bei Betriebsstörungen durch Eis und Schnee effizienter und schneller reagieren zu können, war ein „Eisbrecher“ und Schneeräumer bei uns seit Ende 2012 in Planung. Das Blitzeis gab dem Projekt damals den nötigen Drall, so daß wir den Wagen im Dezember 2013 vorstellen konnten.

Denn schon vor 2013 war klar, daß verschiedene Innovationen bei den neuen Schienen-Fahrzeugen den Betrieb bei Winterwetter nicht nur positiv beeinflussen: Zum einen bieten die modernen Niederflur-Bahnen zwar fahrgastfreundlich einen stufenfreien Ein- und Ausstieg, sie sind durch ihre geringe Fußbodenhöhe aber auch anfälliger gegen hohen Schnee als die alten Hochflur-Wagen. Zum anderen reagieren die elektronisch gesteuerten Straßenbahnen jüngerer Bauart empfindlicher als ihre Vorgänger auf Stromschwankungen, wie sie ein Eismantel um den Fahrdraht verursachen kann.

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Pflüge und „FFBA“

Um seinen Aufgaben gerecht zu werden, verfügt unser „SchneeschieBÄR“ zum einen über zwei orangen Pflüge, die unter die Fahrerstände des Zweirichtungs-Fahrzeugs und vor das jeweilige Drehgestell gespannt werden – im Sommer können sie schnell abgenommen werden –, zum anderen über eine „Fahrdrahtfrostschutzbenetzungsanlage“ (sie heißt wirklich so, kurz: „FFBA“), die mit einer Metallkante und einer mit Frostschutzmittel getränkten Filzwalze nicht nur Eis von der Oberleitung entfernen, sondern für rund 48 Stunden auch die weitere Eisbildung verhindern kann. Kante und Walze sind an einem zusätzlichen Bügel auf dem Dach der Straßenbahn montiert, der bei Bedarf eingezogen werden kann. Die Komponenten dieser Vorrichtung – dazu gehören auch die notwendigen Installationen im Fahrzeug-Inneren und die Sicherstellung der Stromversorgung der Anlage in einer dafür eben nicht vorgesehenen Straßenbahn – haben wir bei Spezialanbietern gekauft und selbst montiert. Die Pflüge entstanden vollständig in Eigenleistung unserer Werkstatt, was sowohl Planung und Konstruktion, als auch Fertigung und Montage betrifft. Mit dieser Eigenleistung konnten wir einen unter Umständen sehr teuren Umbau-Auftrag an eine externe Spezialfirma vermeiden. Die Kosten für die Nachrüstung beliefen sich auf rund 72.000 €, wobei ca. 22.000 € auf die beiden Schneeschieber entfielen.

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Nachrüstung älterer Fahrzeuge

Auch über den „SchneeschieBÄR“ hinaus haben wir unsere Schienenfahrzeug-Flotte auf den Winter vorbereitet: Die frühere Anfälligkeit der modernen „S“-Straßenbahnen gegen Stromschwankungen wird inzwischen von einer angepaßten Software verhindert. Neu gelieferte Fahrzeuge, die „U5“-U-Bahnen, verfügen über diese Software ab Werk, ältere U- und Straßenbahnen erhielten nacheinander das „Up-date“.

Zusätzlich setzen wir für so genannte „Spurfreifahrten“ Straßenbahn-Veteranen und moderne U-Bahnen ein, die mechanisch nachgerüstet wurden, um das Einschneien oberirdischer Gleisabschnitte und das Einfrieren der Oberleitung zu verhindern: die Ebbel-Ex-Wagen der Baureihe „K“, den älteren Zweirichtungs-Wagen der „O“-Baureihe (Nr. 110), einen „PtB“-Wagen, zwei „U2“-Wagen sowie drei „U4“-Wagen. Sie bekamen eine Metallkante am Stromabnehmer – so genannte „Winterschleifleisten“ –, die bei Fahrt Eis von der Oberleitung kratzt. Mit einem kontinuierlichen Einsatz dieser Fahrzeuge in der nächtlichen Betriebspause bleiben auch schnell und immer wieder neu vereisende Oberleitungen funktionstüchtig. Die Fahrzeuge stehen in der Zeit vom 1. November bis 30. April des Folgejahres rund um die Uhr auf den Betriebshöfen Gutleut, Ost und Heddernheim bereit.

Den Schnee auf den Schienen auf eine dünne Decke zu reduzieren, ist wichtig. Nicht nur zu hoher Schnee kann Straßenbahnen behindern: Eis oder zu Klumpen vereiste Steine des Streuguts werden auf eingedeckten Abschnitten wie der Münchener Straße, die sich die Straßenbahn mit Pkw und Lkw teilt, vom Autoverkehr in die Rillen gedrückt, was auch schwere Straßenbahnen entgleisen lassen kann. Oder die Steine verklemmen die Weichen.

Es ist kein Zufall, daß wir für dieses Freifahren und -halten von Schienen und Weichen auf der Straßenbahn Veteranen mit vergleichsweiser konventioneller Technik und hohem Fahrzeugboden benutzen: Ältere Bahnen fahren nicht nur trotz geringerer Stromzufuhr – etwa bei Vereisung der Oberleitung –, sondern auch bei hoher Schneedecke, da sie als Hochflurfahrzeug über eine höhere Bodenfreiheit verfügen. Während viel Schnee für die modernen Niederflur-Bahnen zum Problem werden kann, machen die Oldtimer die Gleise frei. Aus der Werkstatt heißt es dazu nur: „Der ‚O‘-Wagen kommt überall durch.“

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Abrüstung? Nein danke!

Es geht aber nicht „nur“ darum, die Strecken einsatzbereit zu halten, sondern auch die Fahrzeuge selbst. Bei den U-Bahnwagen, die in den unterirdischen Abstellanlagen Südbahnhof, Seckbacher Landstraße, Bockenheimer Warte und Eschenheimer Tor übernachten, ist das wegen der milden Temperaturen im Tunnel unkritisch, sie werden wie üblich abgerüstet und ausgeschaltet. U- und Straßenbahn-Wagen, die in den Betriebshöfen Heddernheim, Gutleut und Ost abgestellt werden, bleiben in den Nächten zwischen 15. November und 1. März aufgerüstet und eingeschaltet, mithin betriebsbereit.

Warum? Andersherum wird ein Schuh draus: Werden Bahnen abgerüstet, kann die Batterie „in die Knie gehen“, der Stromabnehmer müßte von Hand hochgekurbelt werden. Außerdem heizen abgerüstete Fahrzeuge nicht, sie kühlen über Nacht aus. Was es bedeutet, wenn Fahrgäste am Johanna-Tesch-Platz am frühen Morgen in einen aus dem Betriebshof Ost kommenden Kühlschrank steigen müssen, ist klar: eine äußerst ungemütliche Fahrt für die Passagiere. Und jede Menge berechtigte Beschwerden für die VGF.

Gestresste Heizungen

Auch wenn Schienen und Oberleitung frei sind, kommt es vor, daß Bahnen nicht fahren. Grund kann die angegriffene „Systemtechnik“ sein. Hinter dem leicht sperrigen Begriff verbergen sich zum Beispiel die Weichen. Bis auf wenige Ausnahmen sind im Straßenbahnnetz und entlang der oberirdischen Stadtbahn-Linien alle Weichen mit Heizungen ausgestattet. Rund 400 dieser Weichenheizungen betreiben wir, davon rund 300 auf den Betriebsstrecken, die anderen auf den Betriebshöfen. Alle Anlagen wurden im Herbst überprüft und defekte Exemplare instand gesetzt.

Alle neuen Weichen, die wir einbauen – zum Beispiel die fünf, die an der neuen U5-Endstation „Preungesheim“ liegen – sind mit diesem Extra ausgestattet. Ältere Anlagen werden kontinuierlich erneuert und modernisiert, denn die erste stammt immerhin vom Anfang der 70er Jahre. Damit können wir die hohe Einsatzbereitschaft garantieren, die bei den Weichenheizungen bei ca. 99 % liegt. Und das, obwohl diese Heizungen im Winter im Dauerstress sind, denn sie sind fast immer aktiv: Die Geräte schalten bei einer Außentemperatur von 5 Grad ein, bei 7 Grad selbsttätig wieder aus.

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Haltestellen, Stationen und Gebäude

Auch Haltestellen und Gebäude spielen beim Winterdienst eine Rolle. Unser Infrastruktur-Bereich ist für die sichere und ordnungsgemäße Nutzung von Bahnsteigen, Zuwegen, Rampen an Stationen und Haltestellen sowie Fußgängerüberwegen in Stations- und Haltestellennähe verantwortlich. Auch Gehwege und Arbeitsflächen auf den Betriebshöfen müssen geräumt werden, wobei wir keine eigenen Schneeräumer oder schwere Gerätschaften einsetzen. Der Auftrag, Bahnsteige zu räumen und schnee- bzw. eisfrei zu halten, wurde an einen Dienstleister vergeben; das ist wirtschaftlicher, als Personal und Gerätschaften nur für ein paar Wintertage mit extremer Witterung vorrätig zu halten.

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Eine wichtige Rolle spielt auch unser Kundendienst. Besonders dann, wenn alle Anstrengungen nicht gereicht haben und Bahnen auf einzelnen Strecken nicht fahren. Außerhalb der Bürozeiten läuft die interne „Winterdienst-Hotline“ in der rund um die Uhr besetzten Sicherheits- und Service-Zentrale auf. Von hier wird der Einsatz von Fahrausweisprüfern und Fahrgastbegleitern koordiniert, die Fahrgäste über Störungen entlang der Abschnitte informieren sollen, die über keine Dynamische Fahrgast-Information (DFI) verfügen. Leider gibt es im Frankfurter Straßenbahnnetz solche Strecken, vor allen Dingen durch Oberrad (Linie 15, 16 und 18) und nach Ginnheim (Linie 16). Zur Ausstattung der Kollegen gehören im Winter nicht nur zusätzliche Jacken, sondern auch ein Schneeschieber – sozusagen zur ersten (Schnee-)Hilfe. Schnelle und umfassende Fahrgast-Information bleibt entlang solcher Abschnitte eine offene Flanke, solange die Haltestellen nicht mit DFI-Anzeigern nachgerüstet werden oder sie beim barrierefreien Ausbau erhalten. Wir planen deswegen, die Displays der neuen Fahrscheinautomaten für Störungs-Information zu nutzen.

Aber eins ist klar: Das Winterwetter kann Kapriolen schlagen, denen auch mit einer ausgeklügelten Geschäftsanweisung, hohem Einsatz und bestem Gerät nicht beizukommen ist. Nur die Auswirkungen auf Fahrgäste in Form von Verspätungen oder Ausfällen wollen wir möglichst gering halten.

Bernd Conrads
B.Conrads@vgf-ffm.de
3 KOMMENTARE
  • Karin Ruf
    Gepostet am 12:22h, 02 Dezember Antworten

    Liebes VGF-Team, danke für diesen wirklich gut informativen Artikel. Ich wohne an der Endhaltestelle der LInie 11 Schießhüttenstraße und habe das Blitzeis damals miterlebt. Der „alte“ neue Schneeschiebär wird es richten:-).

  • Yvonne
    Gepostet am 13:13h, 28 Dezember Antworten

    Interressanter Beitrag zum Theme „Winter“.
    Vielleicht kommt der Winter nun im Januar doch noch!
    Einen guten Rutsch ins neue Jahr und alles Gute für 2016!

  • Pingback:Den „VGF-Oldis“ neues Leben einhauchen - VGF-Blog
    Gepostet am 09:40h, 04 Februar Antworten

    […] Dienst bei der VGF: so der Wagen 2050, der „SchneeschieBÄR“, der in unserem Beitrag zum Winterdienst auf diesem Blog beschrieben wurde. Oder der „O“-Wagen, die erste Zweirichtungs-Straßenbahn, […]

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