Wand an der Haltestelle Miquel-/Adickesalle mit Graffiti besprüht

Vandalismus: Angriff auf das öffentliche Eigentum

Schmieren, Kratzen, Schlitzen, Ätzen, Eintreten. Es gibt viele Möglichkeiten, Fahrzeuge zu beschädigen oder Haltestellenmobiliar zu demolieren. Landläufig wird das gerne als „Vandalismus“ bezeichnet“, doch die Anführungszeichen sind berechtigt, denn diese blinde Zerstörung öffentlichen Eigentums unserer Tage hat mit dem germanischen Volkstamm der Vandalen wenig zu tun. Es handelt sich wohl eher um ein typisches, schlechtes Zeichen für eine moderne Gesellschaft.

Dank ihrer Video-Überwachung in Stationen und Fahrzeugen hat die VGF inzwischen ein gutes Bild, was in ihren Anlagen geschieht. Da gibt es zum Beispiel dieses Video, das eine der Überwachungskameras 2008 an einem Bahnsteig in der Station „Konstablerwache“ aufgenommen hat. Es ist Mittag, die Station gut besucht, wenn auch nicht voll. Der junge Mann, vielleicht 15 oder 16, der ins Sichtfeld der Kamera tritt, schlendert scheinbar unbeteiligt über den Bahnsteig, in dem ein U-Bahnzug der U4 gerade den Fahrgastwechsel beendet und die Türen geschlossen hat. Unvermittelt nimmt er Anlauf und springt mit dem rechten Bein voran in eine Seitenscheibe des Zugs – Kung Fu-Stil könnte man es nennen. Die Scheibe ist gerissen, aber Verbundglas splittert nicht, weshalb der Täter nicht hängenbleibt und sich an den Splittern auch keine Verletzungen zufügt. Einerseits möchte man hoffen, daß er das gewußt hat, weil der Sprung sonst etwas Selbstmörderisches an sich gehabt hätte, andererseits ist zu befürchten, daß er wohl ein Wiederholungstäter ist und das nicht zum ersten Mal getan hat. Interessiert beobachtet von Passanten verläßt er jedenfalls in aller Seelenruhe den Tatort – angehalten hat ihn niemand. Der Zug setzt seine Fahrt fort, denn der Fahrer hat von dem Akt mutwilliger Zerstörung nichts mitbekommen. Für jeden antiken Vandalen wäre es eine Beleidigung, in einen Topf mit diesem jungen Kaputtmacher geworfen zu werden.

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Sechsstellige Schäden

Der Vorfall ist einige Jahre her, aber spektakulär im Bild festgehalten. Vom Ablauf mag dieser Vorgang außergewöhnlich sein, Scheiben an Fahrzeugen und Haltestellen wurden aber auch 2015 eingeschlagen, Sitze aufgeschlitzt, Wände weiterhin beschmiert. Die U- und Straßenbahnen der VGF sowie die Infrastruktureinrichtungen des Unternehmens waren damit im vergangenen Jahr Ziele zahlloser Zerstörungsorgien aller Art, die gerne unter dem unzulänglichen Begriff “Vandalismus” zusammengefaßt werden. Allein am rollenden Material der VGF – U-Bahnen und Straßenbahnen, die VGF betreibt keine Busse mehr – entstand so 2015 ein Schaden von ca. 48.775 € (2014: 134.939 €; 2013: 104.208 €). Zu diesen addieren sich nochmals Schäden an der Infrastruktur wie Stationen, Haltestellen, Fahrleistungsmasten, Fahrtreppen, Fahrscheinautomaten und Gebäuden, die sich aus Glasbruch, Graffiti-Entfernung, Versprühen von Feuerlöschern oder anderen Beschädigungen zusammensetzen: 640.200 € im Jahr 2015 (2014: 946.100 €; 2013: 420.000 €). Allein für Graffiti-Entfernung und den anschließenden Oberflächenschutz hat die VGF 2015 rund 522.100 € aufgewendet. Dieser Oberflächenschutz verhindert zwar eine neue Beschmierung nicht, macht aber die Entfernung einfacher und verhindert, daß aggressive Substanzen das Mauerwerk dauerhaft beschädigen.

Tatenlos sieht die VGF dem Treiben nicht zu. Seit mehr als zehn Jahren fahren Straßenbahnen, deren Fahrgasträume mit Videokameras überwacht werden, seit 2008 mit dem Typ „U5“ auch U-Bahnen. Außerdem erhalten die älteren „U4“-Typen im Zuge ihrer Überholung solche Vorrichtungen. Auch wenn Täter nur schwer dingfest zu machen sind, kann die VGF dank der Überwachungstechnik einem Rückgang der Schäden in ihren Fahrzeugen feststellen. Schon bei den 2003 in Betrieb genommenen „S“-Wagen war das zu beobachten: Die Schadenssumme halbierte sich in kürzester Zeit. Auch die modernen „U5“-Wagen verfügen werksseitig über Kameras, die Bilder erst nach 72 Stunden überspielen, die 37 „U4“-Wagen erhalten Kameras im Zuge ihrer Generalüberholung: 26 Fahrzeuge sind fertig, die restlichen elf werden bis 2017 überarbeitet. Die Schäden an den U-Bahn-Wagen sind rückläufig, entwickeln sich aber nicht kontinuierlich, wie die Zahlen der vergangenen beiden Jahre zeigen: ein Rückgang von 123.513 € (2014) auf 45.155 € (2015).

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„Scratching“

Zu den Schäden bei den U-Bahn-Wagen gehören unter anderem zerstörtes Sitzmobiliar oder Entfernung von Graffiti, aber auch zerstörte Front- und Seitenscheiben. Fast 50 eingeworfene beziehungsweise eingetretene Seitenscheiben muß die VGF im Jahr auswechseln. Wesentlich häufiger sind Scratching-Schäden, die in den genannten Zahlen gar nicht enthalten sind. Die Scheiben in den Fahrzeugen zeigen oft die Spuren mehrerer Täter: von sorgfältig ein gefrästen „Tags“, also willkürlich erscheinenden Buchstaben-Kombinationen, die eine Art Visitenkarte des Kratzers ist, an der der Ordnungsdienst der VGF seinen „Pappenheimer“ immer wieder erkennt, bis zu großflächigen Kratzspuren, die offensichtlich nur einen zerstörerischen Zweck erfüllen: das Glas „blind“ zu machen. Zwar tauscht die VGF Scheiben bei starker Beschädigung oder verbotenen Zeichen sofort nach der Schadensmeldung aus – auch mit Graffiti beschmierte Fahrzeuge gehen am nächsten Morgen nicht ungereinigt wieder auf die Strecke –, aber wegen der ausufernden Kosten und des hohen Arbeitsaufwands werden nicht alle zerkratzten Scheiben umgehend ausgetauscht.

Dabei klingen die ersten Zahlen nicht unbedingt nach Ausufern: Der Ersatz einer Seitenscheibe eines “R”-Straßenbahnwagens schlägt mit 610 € Lohn- und Materialkosten zu Buche, bei einem U-Bahn-Typ „U4“ sind es 530 €. Bei einem solchen Wagen alle 16 Seitenscheiben zu wechseln, würde Kosten in Höhe von 8.480 € auflaufen lassen, bei der ganzen Flotte von 37 Fahrzeugen 313.760 € – die Scheiben in den vier Türen und den beiden Fahrerständen nicht mitgerechnet.

Dieser Schaden bleibt also Theorie, denn außerhalb der umfassenden Generalüberholung der Bahnen (GÜ) in der Stadtbahn-Zentralwerkstatt, der sich die Fahrzeuge alle acht Jahre unterziehen müssen und bei der sie vollständig auseinander genommen und wieder zusammengesetzt werden, wechselt die VGF zerkratzte Scheiben nur unter bestimmten Umständen sofort aus: Fahrzeuge, die mit obszönen, antisemitischen oder rechtsradikalen Zeichen zerkratzt sind, bleiben bis zu deren Behebung in den Betriebshöfen. Gleiches gilt bei schadhaften Dichtungen.

Ansonsten liefen die Kosten bei einer Flotte von zurzeit 112 Straßen- und 224 U-Bahnwagen aus dem Ruder. Daher steht der Schaden, der durch Scratching entsteht – das englische Wort beschreibt in schöner Klarheit den Vorgang ebenso wie das Ergebnis des Kaputtmachens – nur in den Büchern. Anders als normale Graffiti-Schmierereien, die die Grundfläche, die sie verunstalten, nicht unbedingt substantiell schädigen, zerstört das Gekratzte eine Scheibe aber unwiederbringlich.

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Gegenmittel

Ganz hilflos steht die VGF den Schäden und ihren Verursachern nicht gegenüber. Offensichtlicher Teil eines Pakets, um die Schäden zu reduzieren, ist die Videoüberwachung. In den Fahrzeugen begann das mit der Auslieferung der ersten elf „S“-Wagen von Oktober 2003 an. Die ersten Stationen wurden im Zuge des Confederation Cups 2005 und dann zur WM 2006 im Rahmen des Projekts „Sicherheit und Service“ mit der Technik ausgestattet. Heute betreibt die VGF mehr als 600 Kameras in allen unterirdischen U-Bahn-Stationen – auf B- und Bahnsteigebenen – sowie an 16 oberirdischen Stationen und Haltestellen, die als Umsteige-Stationen mit hohem Fahrgast-Aufkommen oder aus Sicherheitsgründen dafür in Frage kamen: dazu zählen „Dorbnusch”, „Fritz-Tarnow-Straße”, „Lindenbaum”, „Hügelstraße”, „Weißer Stein”, „Heddernheim”, „Römerstadt“, „Ginnheim”, „Bonames Mitte”, „Nieder-Eschbach”, „Industriehof” (alle U-Bahn), „Willy-Brandt-Platz”, „Hauptbahnhof”, „Eissporthalle / Festplatz”, „Südbahnhof”, „Ginnheim” (alle Straßenbahn). Weitere Kameras überwachen Liegenschaften wie die Stadtbahn-Zentralwerkstatt in Rödelheim, die verschiedenen Betriebshöfe im Stadtgebiet oder die Tunneleinfahrten an den Rampen der U-Bahn-Strecken, wobei Letztere eher der Sicherheit dienen, da Unbefugte nicht in die Tunnel rennen sollen.

Auch dem alltäglichen Scratching-Wahnsinn ist die VGF nicht ausgeliefert. Es gibt eine Reihe von Gegenmitteln, über das die Mitarbeiter der Werkstätten aber nur ungern sprechen: man will die eigenen Möglichkeiten nicht verraten. Betriebsanleitungen zum Kaputtmachen gibt die Werkstatt grundsätzlich nicht. Das gilt auch für die Werkzeuge, die zum Kratzen verwendet werden können und die den VGF-Mitarbeitern bestens vertraut sind. Zu den Möglichkeiten gehört der präventive Schutz von Fensterflächen und Fahrzeug-Innenverkleidungen vor Graffiti und Kratzereien. Auch die Sitze in den neuen Fahrzeugen sind zwar nicht resistent gegen mutwillige Zerstörung, lassen sich aber nicht mehr so leicht aufschlitzen wie in älteren Modellen. Außerdem scheint es weniger Freude zu machen, wenn auch dem geschlitzten Material keine Füllung tritt. Und daß manche Zeitgenossen Nägel in die Sitzflächen rammen, ist weniger ein Fall von „Vandalismus“, sondern vielmehr von vorsätzlicher Körperverletzung. Mit Glück ist bislang allerdings noch niemand zu Schaden gekommen, die Nägel wurden von aufmerksamen Fahrgästen rechtzeitig entdeckt und gemeldet.

Investitionen können sich schon auf kurze Sicht lohnen, wobei das nicht immer eine Frage des Geldes sein muß. Zum Beispiel was die Stimmung unter den Mitarbeitern in den Werkstätten betrifft, die mit den ramponierten Fahrzeugen befaßt sind. Die meisten machen kein Hehl aus ihrem Frust über die ständige Zerstörung „ihrer“ Wagen. Kaum in Stand gesetzt, steht ein und dasselbe Fahrzeug nicht selten fünf Tage später mit dem gleichen Schaden wieder in der Werkstatt. Auch das ist ein Grund, warum die VGF nicht jede Scheibe sofort auswechseln kann, auch wenn der Eindruck der Kratzer auf Fahrgäste imageschädigend sein mag. Die Mitarbeiter der VGF-Werkstätten in Rödelheim, Heddernheim, Gutleut, Ost und am auch im Busbetriebshof Rebstock können diese Schäden zwar nicht verhindern, sie halten sie aber in Grenzen. Auch der genannte Imageschaden läßt sich nicht in Geld bewerten. U-Bahnfahren in einem beschmierten Zug, mit aufgeschlitzten Sitzen und zerkratzen Scheiben, macht niemandem Spaß. Hier möchte kein Fahrgast einsteigen, so kann man Menschen kaum zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel motivieren.

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Anfällige Automaten

Besonders gefährdet sind außer den Fahrzeugen und Stationen die Fahrscheinautomaten, von denen die VGF 600 im Stadtgebiet aufgestellt hat. Sie werden nicht „nur“ einfach kaputt gemacht, sie tragen auch Schäden bei Einbrüchen oder Einbruchsversuchen davon. Im Jahr 2015 lag der Schaden – auch hier rechnet die VGF die anfallenden Material- und Personalkosten zusammen – bei rd. 155.000 € (2014: 96.906 €; 2013: rd. 140.000 €). Besonders die Scheiben der Displays werden dabei Opfer dumpfer Gewalt, so wurden im vergangenen Jahr 241 Scheiben demoliert (2014: 132; 2013: 54 – es gab einfach nicht so viele Touchscreen-Geräte wie heute). Hinzu kommen ungewöhnliche Schäden wie Sprengungen oder Brandstiftung, meist mit dem Ziel, die Geldkassette der Automaten zu knacken, und meist verübt bei eher einsamen „Einzelgängern“ wie sie an den Haltestellen „Waldfriedhof Goldstein“ oder „Oberschweinstiege“ stehen. Wer immer sich also über beschädigte oder schadhafte Fahrscheinautomaten ärgert, sollte in Betracht ziehen, daß irgendein freundlicher Zeitgenosse gerade versucht hat, das Wechselgeld zu klauen.

Ein neuer Automat kostet je nach Ausstattung zwischen 30.000 € und 35.000 €. Die 600 Geräte so gut es geht zu schützen, liegt also auf der Hand. Die VGF hat bei ersten Modellen den Aufbruchsschutz nochmals verbessert und „vandalismussichere“ Polycarbonat-Scheiben für die Displays eingebaut. Die restlichen Geräte sollen stückweise folgen.

Auch Rolltreppen entgehen dumpfer Beschädigung nicht, seien es eingetretene Seitenbleche, mutwillig in die Stufen verkeilte Teile – hier reichen im Winter ein paar Splitkörner –, Silvester-Böller, Brandstiftung oder abgerissene Nothaltegriffe. Im Jahr 2015 registrierte die VGF Schäden an ihren 269 Anlagen in Höhe von 11.600 € (2014: 12.350 €; 2013: 18.600 €). Auch hier fällt weniger der materielle Schaden ins Gewicht als der am Image, der dem Unternehmen auch bei nur vorübergehend stehenden Fahrtreppen entsteht. In der Regel reicht ein Stillstand von wenigen Stunden – bei leichten Schäden kann die Anlage oft sehr schnell wieder in Betrieb genommen werden –, um einen ganzseitigen Beitrag in der Zeitung zu den „ewig stehenden Rolltreppen“ zu inspirieren. Trotz solcher Artikel liegt die Einsatzbereitschaft aller Anlagen in den 27 unterirdischen Stationen bei durchschnittlich 97,5 %.

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Uneinheitliche Schadensentwicklung

Insgesamt gingen Schäden an Fahrzeugen und Einrichtungen der VGF mit Einführung der Video-Überwachung zurück, eine Entwicklung, die sich schon von 2007 auf 2008 bei den damals noch der VGF gehörenden Bussen gezeigt hatte: Lag der Schaden an den rund 180 Fahrzeugen 2007 bei 90.950 €, mußte die VGF 2008 noch 72.550 € verbuchen. Hintergrund: Im Dezember 2007 hatte die Omnibus-Werkstatt der VGF 37 neue Busse des Solaris-Typs „Urbino 12“ in Dienst gestellt, die alle über Kamera-Ausstattung verfügen.

Doch ist diese Entwicklung wie erwähnt uneinheitlich: an U-Bahnen entstanden 2015 Schäden in Höhe der eingangs genannten 45.155 € (zum Vergleich 2010: 231.000 €; und 2005: 188.671 €), an Straßenbahnen 2015 3.620 € (2010: 33.044 €; 2005: 84.400 €) und an der Infrastruktur 2015 640.020 € (2010: 335.640; 116.000 €). Eine kontinuierliche Veränderung zum Besseren oder Schlechteren in allen Bereichen – Fahrzeuge, Infrastruktur, Fahrscheinautomaten, Fahrtreppen, Aufzüge – ist nicht zu erkennen und da auch in den hier nicht aufgeführten Jahren die Schadenszahlen abwechselnd steigen und sinken, sind einzelne Buchungsfehler nicht auszuschließen.

Das eingangs geschilderte Beispiel einer Scheibenzerstörung bei einem Linienzug zeigt aber auch die Grenzen der Videoüberwachung: Tat und Täter lassen sich filmen, eine Identifizierung und damit Verfolgung des Verursachers bleibt aber dem Zufall überlassen. Sollte er bei einer ähnlichen Aktion einmal nicht einfach davon schlendern können, würde ihm die VGF die ältere Sachbeschädigung ebenfalls zur Last legen, denn diese Bilder werden nicht aus Datenschutzgründen nach 72 Stunden überspielt, wie das sonst mit Aufnahmen geschieht, auf denen nichts Außergewöhnliches zu sehen ist.

Bernd Conrads
B.Conrads@vgf-ffm.de
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  • Pingback:Blogs im März + April 2016 | STADTKIND
    Gepostet am 10:27h, 01 Mai Antworten

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